Der Himmel so fern
Schuldige bin. Und das sage ich nicht, um Mitleid zu erheischen. Ich weiß einfach, dass es so ist. Ich habe ein Leben lang Zeit gehabt, etwas zu unternehmen, und trotzdem habe ich nichts getan, um es zu verhindern.«
»Warum hast du kein Wort gesagt?«
Ulf schlug die Decke zur Seite, sprang aus dem Bett und begann, im Zimmer auf und ab zu laufen. Als er sich ans Fußende des Bettes stellte und sein Schwanz aus einem Busch aus grauem Schamhaar baumelte, begann er sprechen und bemerkte überhaupt nicht, dass er splitternackt war. »Vanja, ich will dir nicht weh tun«, sagte er und sah die Frau im Bett an. »Aber ich trage die Verantwortung für Rebecka, egal, ob ich mir das ausgesucht habe oder nicht. Schon als ich Marianne und die Kinder verließ, war mir klar, dass ich etwas Unverzeihliches tue.« Er ließ sich wieder auf das Bett plumpsen. »Ich bin ja nicht blöd. Ich wusste, dass es Konsequenzen haben würde, aber ich hatte gehofft, dass ich derjenige sein würde, der sie tragen müsste. Ich hätte sie getragen, aber es kam anders. Die Kinder mussten es ausbaden. Sie mussten die Konsequenzen tragen.«
Ulf legte die Hände in den Nacken und drückte den Kopf nach vorn. Eine Weile blieb er so sitzen, wie ein Modell in einem Malkurs, bevor er losließ und wieder aufsah. »Ein Leben lang habe ich auf das Urteil gewartet, auf die Strafe«, fuhr er fort, »aber dass Rebecka geopfert wurde, ist schlimmer, als ich mir das je hätte denken können. Jede Strafe hätte ich ertragen, nur diese nicht.«
»Hättest du dein Leben gegeben?«
»Ohne zu zögern.«
»Und deine andere Tochter, Sofia heißt sie?«
»Ja. Sie lebt. Ich glaube, es geht ihr gut. Sie ist anders. Sie ist geduldiger, anpassungsfähiger, sie wird es schaffen. Rebecka war wie ich. Kompromisslos. Stur.«
Ich schnappte nach Luft. Offenbar zum ersten Mal nach Minuten, so kam es mir vor. Es schmerzte in den Lungen, in dem Körper, den ich nicht mehr besaß.
»Vanja, mehr Kinder wird es für mich nicht geben. Ich verstehe deinen Wunsch, ich weiß, dass die Sehnsucht nach Kindern ganz normal und menschlich ist, aber da kann ich dir nicht helfen. Du bist frei, mich zu verlassen, wann immer du willst. Das sage ich nicht, weil ich dich nicht liebe, sondern weil du deiner inneren Stimme folgen musst, genau wie auch ich es muss.«
Vanja biss sich auf die Wange und blinzelte mehrmals. »Was würdest du Rebecka sagen, wenn sie jetzt hier wäre?«, fragte sie und sah den Mann an, der ihr nackt und schutzlos gegenübersaß.
Ulf fuhr sich mit der Hand durch den Bart. Er sah müde aus. »Was würde ich sagen …« Er holte tief Luft. »Dass mir bewusst ist, was ich ihr angetan habe, und dass nicht ein Tag vergeht, an dem ich nicht daran denke. Dass ich weiß, dass es meine Schuld ist. Und dass
ich
den Tod verdient habe und nicht sie.« Er hielt inne, und sein Blick schien etwas im luftleeren Raum zu fixieren, etwas, das man nicht sehen konnte. »Ich würde sie um Vergebung bitten und hoffen, dass sie sie mir verwehren würde. Denn das bin ich, verdammt nochmal, wirklich nicht wert.«
Gealtert und ergraut saß mein Vater dort, nackt, und er übernahm die Verantwortung für meinen Tod. Sprach aus, dass es sein Fehler gewesen war. Wie bizarr. Es ging um einen Selbstmord. Ich hatte aus eigener Kraft und freien Stücken entschieden, meinem Leben ein Ende zu setzen. War er so mit sich selbst beschäftigt, dass er das gar nicht wahrnahm? Musste er meinen Tod –
meinen
Tod – zu seinem machen?
Ich wollte schreien und protestieren. Nein, ich wollte am liebsten laut über alles lachen. Sein Bekenntnis für nichtig erklären und ihn bitten, zur Vernunft zu kommen. Doch ich sagte kein Wort, ich hörte ihm zu. Und ich sah meinen Vater, mit gebeugtem Rücken und dunklen Augen, wie er über seine Verantwortung sprach. Über seine Schuld und seine Trauer.
Ich wartete darauf, dass sich meine Abscheu und Verzweiflung über das, was ich zu Ohren bekommen hatte, bemerkbar machen würde, und stemmte die Füße fest gegen den Boden, um vorbereitet zu sein. Aber nichts geschah. Stattdessen überkam mich ein ganz anderes Gefühl. Und das stellte alles auf den Kopf. Mir schwirrte der Kopf wie nach einer verrückten Karussellfahrt.
Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie ich diesen Ort verließ, aber ich nehme an, dass Birger mich irgendwie mitgenommen hat, denn als ich wieder zu mir kam, war Arayan an meiner Seite. Er hatte seine schwerelose Hand auf meine Schulter gelegt und
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