Der Himmel so fern
war Stellan sauer auf mich …«
»Da hat er zwei Stunden auf dich warten müssen …«
»Das ist gar nicht gut.« Mikael schien verärgert, unternahm aber noch immer nichts, um aufzustehen. »Vielleicht rufe ich ihn lieber an und sage ihm, dass ich krank bin.«
»Aber das bist du nicht.«
»Kann ja noch kommen.« Er hüstelte künstlich und griff sich an den Hals.
Mikael war hin- und hergerissen, und ich genoss es, das zu sehen. Dass er doch am liebsten bei mir im Bett war. Doch ich ließ es ihn nicht spüren, sondern holte im Gegenteil tief Luft und setzte ein ernstes Gesicht auf.
»Mikael, ehrlich gesagt …«, begann ich. »Ich bin verplant. Wir können noch einen Moment liegen bleiben, dann frühstücken und so, aber danach muss ich sowieso los.« Es fiel mir enorm schwer, das auszusprechen. Als ob ich nicht jede Gymnastikstunde der Welt geopfert hätte, um noch einen Moment bei ihm bleiben zu können. Doch das durfte ich nicht zugeben. Ich konnte ihm nicht zeigen, wie viel mir daran lag, wie wahnsinnig gern ich meine Zeit mit ihm verbrachte. Wohin so etwas führte, wusste ich nur zu gut, und ihn zu verlieren war das Letzte, was ich wollte.
Mikael sah mich unglücklich an. »Okay. Du hast recht. Ich muss los. Es ist Stellan gegenüber nicht fair, ihn die Arbeit allein machen zu lassen.«
»Es ist ja auch dein Boot.«
»Ja, sicher.« Er stieg aus dem Bett und ging in den Flur, um sein Handy zu holen. Ein paar Sekunden später hörte ich ihn mit Stellan telefonieren. Er klang zerknirscht. Bat um Entschuldigung und versprach, in einer halben Stunde da zu sein. Auf dem Weg würde er etwas zu essen einkaufen, quasi als Wiedergutmachung. Zehn Minuten später stand er in Schuhen und Jacke da. Ich saß am Küchentisch und las die Zeitung, als er auf mich zukam, um sich zu verabschieden.
»Mach’s gut«, sagte ich kurz und sah zu ihm auf. Ich war selbst überrascht, meine Worte klangen, als wären meine Gedanken bereits woanders. Als ob ich kaum davon Notiz genommen hätte, dass er nun wirklich losmusste. Er küsste mich in den Nacken.
»Ich rufe dich später an«, sagte er.
»Mach’ das. Oder vielleicht eher morgen? Nein, besser erst am Montag. Heute Abend bin ich aus, und morgen muss ich arbeiten.« Ich lächelte ihn an und widmete mich gleich wieder meiner Zeitung. »Dann mal los, bis bald.«
»Die Sache mit dem hellen Licht im Tunnel …«
»Ja.«
»Ich habe das nicht gesehen. Es wurde einfach dunkel. Ist das ein Mythos, das mit dem Licht? Erzählt man das nur, damit der Tod nicht so erbärmlich daherkommt, wie es in Wirklichkeit ist?«
»Es gibt ein Licht. Ein sehr schönes Licht.«
»Und warum habe ich es nicht gesehen? Nein, stopp, sag’s nicht. Weil ich eine Selbstmörderin bin. Weil jemand wie ich dieses Licht nicht verdient.«
»Nein, das ist nicht der Grund. Alle verdienen das Licht. Es ist immer da, um uns herum.«
»Ich sehe nur Finsternis.«
»Du musst deine Augen öffnen.«
»Das nützt nichts. Schenk’ mir lieber gleich reinen Wein ein. Bin ich in der Hölle gelandet?«
»Es gibt keine Hölle, zumindest keine, wie die Menschen sie sich vorstellen. Als Ort jenseits aller Rettung, wo die Bösen für alle Zeit bestraft werden.«
»Wie definierst du dann die Hölle?«
»Es kann eine Hölle sein, wenn man sich an einem Ort befindet, an dem man keine Hoffnung hat. Keinen Ausweg sieht von Angst und Leid. An seinen Grenzen verharrt, ohne seine Möglichkeiten sehen zu können. In einer Finsternis zu leben, die so dicht ist, dass das Licht niemals hindurchkäme. Liebe nicht annehmen zu können, wo sie zu finden ist, sich nicht trösten zu lassen, von dem, der es gut mit einem meint. Die Hölle ist es, einsam zu sein, der Geist verloren und das Herz verschlossen für himmlischen Segen.«
»Ach so, so siehst du das.«
»Ja, das tue ich.«
»Bist du religiös?«
»Ich gehöre keiner Religion an.«
»Deine Worte klangen aber sehr religiös.«
»Das mag sein.«
»Und was geschieht, wenn man sich in dieser Hölle befindet, die du beschreibst? Das Herz verschlossen für himmlischen Segen …«
»Das hält man möglicherweise nicht aus. Vielleicht entschließt man sich dann sogar, sein Leben zu beenden.«
»Mutter, ich bin’s – Mikael.«
»Ja, Mikael, schön, dich zu hören! Wie geht’s dir? Was macht ihr so?«
»Rebecka ist tot.«
Stille in der Leitung.
»Mutter, hast du mich verstanden? Bist du noch dran?«
»Ich hab’s verstanden. Was … was ist denn
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