Der Himmel so fern
Wochenende abzusagen und die Zeit nur zu zweit zu verbringen. Dann ließ sie ihre Hand unter sein Oberhemd gleiten und begann ihn am Hals zu küssen, während sie ihn lächelnd Richtung Schlafzimmer zog. Er hätte darauf nicht immer eingehen dürfen, doch statt konsequent zu sein und Antworten einzufordern, wurde er weich und willenlos. Er war sogar dankbar für ihre Aufmerksamkeit. Erst hinterher, wenn er wieder alleine war, spürte er, wie der Frust wieder hochkam. Es ging ihm nicht um einen gemeinsamen Abend oder um ein Wochenende mit seiner Frau. Sondern um ein gemeinsames Leben.
Wenn er daran dachte, wie ihr Zusammenleben gewesen war, hätte die Einsamkeit, die ihn jetzt übermannte, eigentlich nicht so schlimm sein dürfen, doch es war ein Riesenunterschied, auf jemanden zu warten, von dem man wusste, dass er kommen würde, oder die Gewissheit zu haben, dass derjenige, der einem fehlt, niemals mehr kommen wird. Wenn er sich umschaute, war alles anders als zuvor. Die ganze Wohnung, ihr Zuhause, war anders. Leblos.
Vor vielen Jahren hatte er einmal einen Toten gesehen. Sein Großvater war nach einem langen Krebsleiden und weiteren Krankheiten endlich eingeschlafen. Mikael war zufällig gerade im Krankenhaus, als sein Großvater starb, er war nicht gekommen, um ihn sterben zu sehen. Aus Respekt seiner Großmutter gegenüber und weil er gut erzogen war, machte er einen Krankenbesuch. Als er da am Bett stand und die dünne Gestalt unter dem gestreiften Bettbezug des Kreiskrankenhauses betrachtete, war es so offensichtlich, dass dieser Körper ohne Leben war. Es war herzzerreißend. Zweifellos, der Großvater war tot.
So wie jetzt sein Zuhause. Leblos, genau wie die künstlichen Blumen, die Rebecka unbedingt anschaffen wollte. Sie sähen haargenau aus wie echte Blumen, hatte sie felsenfest behauptet, nur musste man sie nicht gießen. Er stutzte, schwieg aber. Ihre Blätter verwelkten nie, und man konnte den Staub einfach in der Dusche abspülen. Eigentlich war es merkwürdig, dass sie sich mit einer halben Sache zufriedengab, wo sie doch sonst mit ihrer Wohnung so pingelig war. Niemals hätte sie irgendwo Laminat legen lassen, wenn es auch möglich war, Parkett zu verwenden, und die Fliesen im Eingangsbereich wollte sie nur von den besten Lieferanten haben. Die aus Platane geschnitzten Bücherregale waren erstklassiges Handwerk, und sogar die Mischbatterie im Badezimmer hatte sie austauschen lassen, weil die alte so ein »langweiliges 0815 -Teil« war.
Aber sie hatte sich für künstliche Blumen entschieden. »Aus Seide« hatte sie mehrfach betont und sicherheitshalber auch den horrenden Preis genannt, den sie dafür bezahlt hatte. Er hatte nicht widersprochen. Es war ihre Entscheidung, wie so oft.
Es dauerte fast zwei Stunden, bis es an der Tür klingelte. Als Mikael öffnete, sah er, warum. Vor ihm stand seine Mutter Birgitta mit einer Reisetasche vor den Füßen und in jeder Hand eine volle Einkaufstüte. Sie war etwas außer Atem und hatte rosige Wangen, die mit den Jahren schlaffer geworden waren.
»Mein lieber Mikael«, begann sie, und ihr schossen die Tränen in die Augen. Sie stellte die Taschen ab, um ihn in die Arme nehmen zu können. »Was ist denn bloß passiert? Mein lieber Junge, was ist denn bloß passiert?« Sie ließ ihn wieder los und strich sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
»Komm’ rein.« Mikael trat kurz hinaus ins Treppenhaus und nahm ihr Gepäck. »Du hättest doch nichts einkaufen müssen«, sagte er fast reflexartig. Seine Mutter wurde langsam alt. Sie musste sich doch nicht mehr um ihn kümmern, als sei er ein kleines Kind.
»Unsinn.« Jetzt wurde sie energisch, sie war eben seine Mutter. »Du musst etwas essen. Das sollte dir klar sein.«
Er sollte essen, da hatte sie recht, aber immer, wenn es ihm in den vergangenen Tagen eingefallen war, hatte er den Gedanken wieder verdrängt. Sein Hungergefühl war wie weggeblasen. So sinnlos, zu essen. Sich den Bauch vollschlagen, den Körper mit Nahrung zu versorgen, um weiterleben zu können. Wofür denn?
Mikael half seiner Mutter aus dem Mantel und trug die Tüten in die Küche. Birgitta öffnete den Kühlschrank und schüttelte den Kopf. Ein paar Dinge waren noch da. Gläser mit eingelegten getrockneten Tomaten, Kapernbeeren und Oliven. Französischer Senf und lange gereifter Balsamicoessig. Sie sah auch einige Reste von verschiedenen Dessertkäsen und ein noch verpacktes Stück Parmesan. Außerdem Dickmilch, eine Flasche
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