Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Himmel so fern

Der Himmel so fern

Titel: Der Himmel so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kajsa Ingemarsson
Vom Netzwerk:
Familie verlassen, als sie klein war. Danach gab es noch sporadischen Kontakt, aber als sie erwachsen war, brach er ab.« Er machte eine Pause. »Möglicherweise hat sie sogar Halbgeschwister.« Der Gedanke kam ihm in diesem Moment zum ersten Mal.
    »Wissen Sie, wo er wohnt?«
    Stille. Mikael hatte seinen Kopf sinken lassen, und seine Hände lagen kraftlos auf seinem Schoß.
    »Wissen Sie vielleicht, wo er wohnt?« Der Polizist auf dem Sofa wiederholte seine Frage. »Rebeckas Vater.«
    Mikael sah auf, als hätte er das Gespräch gerade erst bemerkt.
    »Ich glaube, an der Westküste. Ich meine mich zu erinnern, dass Rebecka das einmal erwähnt hat.«
    Der Beamte machte eine Notiz auf seinem Block. »Gibt es jemanden, den Sie jetzt anrufen können? Oder den wir für Sie anrufen können? Der zu Ihnen kommen kann?«
    Mikael zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht.«
    »Es wäre sicher gut, wenn Sie jetzt nicht allein wären.« Der erfahrene Polizist musterte Mikael gründlich. »Möchten Sie, dass wir den diensthabenden Arzt verständigen? Oder den Seelsorger?«
    »Nein. Danke. Ich werde selbst jemanden anrufen. Später …« Mikael verstummte.
    »Falls irgendetwas ist in der Nacht, können Sie sich gern an uns wenden.« Die Frau mit dem Pferdeschwanz zog etwas aus der Brusttasche ihrer Uniform. »Hier ist meine Karte. Ansonsten wird sich ein Kollege von uns bei Ihnen melden, sobald der Rechtsmediziner mit seinem Bericht fertig ist.«
    Die beiden Polizisten erhoben sich und hielten einen Moment noch inne. Dann nickten sie sich zu und verabschiedeten sich von Mikael, bevor sie den Raum verließen und durch den Flur zurück zur Wohnungstür liefen. An der Tür hielten sie noch einmal an. Die Frau drehte sich zu Mikael um, der hinter ihnen ging, und griff noch einmal nach seiner Hand. Es war eine ungewöhnliche Geste, das merkte er selbst. Sehr persönlich, fast zärtlich.
    »Sind Sie sicher, dass Sie klarkommen? Wir können auch noch eine Weile bleiben, bis jemand kommt. Bis Sie Gesellschaft haben.«
    »Danke, es geht schon. Glaube ich zumindest.«

Einen Augenblick lang war ich vor Freude fast außer mir. Ich war wieder in meinem Zuhause gewesen, in meinem und Mikaels Zuhause. Ich konnte ihn sehen, einen unförmigen Hügel unter der Bettdecke. Und ich hörte die so vertrauten Geräusche. Mikaeltöne, eine Art Mischung aus Schnarchen und tiefem Luftholen. Einen kurzen Moment lang durfte ich in die Ruhe unseres Schlafzimmers eintauchen und die Nähe zu meinem Mann genießen. Wieder zu Hause, der Gedanke war fast unbegreiflich. Doch bevor ich die Kleider ablegen, neben ihn ins Ehebett schlüpfen und mich an seinen warmen Rücken kuscheln konnte, klingelte es an der Tür. Er wachte auf, grummelte entnervt vor sich hin und zog sich den Morgenmantel über, der am Türhaken hing. Ich konnte gerade noch zur Seite kullern, da war er schon aus dem Raum, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen.
    Ich folgte ihm, hielt mich aber diskret im Hintergrund. Schließlich war ich nicht nur neugierig, sondern machte mir auch Gedanken, wer das sein mochte, der mitten in der Nacht klingelte. In dem Moment, als die Tür aufging und Mikael vor dem hellen Licht des Treppenhauses zurückschreckte, war es mir klar. Was dann folgte, war ein Ausschnitt aus einem Horrorfilm. Die Polizisten, die Nachricht von meinem Selbstmord, all die Fragen, die unbeholfenen Versuche, ihn zu trösten.
    Jetzt waren sie wieder fort. Das Echo ihrer Schuhsohlen hallte noch durch die Wohnungstür, wo wir beide regungslos standen. Mikael war bis zu den Fingerspitzen bleich wie ein Gespenst, dann verschränkte er die Arme vor der Brust und begann zaghaft, sich hin- und herzuwiegen. Aus seiner Kehle drangen sonderbare Laute. Geräusche wie von kranken Tieren. Winseln. Er versuchte, sich ein paar Schritte vorwärtszubewegen, doch es gelang ihm nicht, er sank schließlich zu Boden, den Rücken an der Wand. Er sah so unglaublich winzig aus. Mein Mikael, so unter Schock, dass er nicht einmal weinen konnte. Nur dieses verzweifelte Winseln. Und die Schaukelbewegungen.
    Ich kniete mich vor ihn und versuchte, seine Hände zu fassen, doch ohne den geringsten Widerstand glitten sie zwischen meinen hindurch. Mein Körper war ungefähr so real wie ein Hologramm, ich konnte nicht einen seiner Finger hochheben. Dieses Gefühl war so mächtig und furchtbar, dass ich einen Schrei nicht unterdrücken konnte. Eine Sekunde lang schien er etwas zu hören, doch dann war alles wie zuvor.

Weitere Kostenlose Bücher