Der Himmel so fern
hätte wissen sollen, wie sehr ich ihn liebte, wie gern ich mit ihm zusammenleben wollte. Er hätte wissen müssen, wie groß meine Angst war, ihn zu verlieren. Aber dafür war es jetzt zu spät. Das Spiel war das Einzige, das ich beherrschte. Und dieses Spiel bedeutete, nicht lieb zu sein, es war blutiger Ernst, wenn ich nachsichtig lächelte oder diskret über seine Vorschläge seufzte. Zu meiner Verteidigung habe ich immerhin vorzubringen, dass es die reine Liebe war, die mich dazu trieb. Und Angst. Die Angst war vielleicht sogar so übermächtig, dass sie die Liebe bisweilen überschattete.
Es kam vor, dass ich aus den Augen verlor, warum ich diesen Abstand herstellte. Meine kontrollierten Antworten kamen mit der Zeit wie von selbst. Aber dann passierte wieder etwas, das mir den Grund für diese Taktik sofort in Erinnerung rief.
Es war an einem Abend im Frühling, als er mir von der Reise an die Riviera erzählte. Stellan und er wollten nach Frankreich fahren und sich Boote anschauen. Drei Wochen lang würden sie weg sein, mitten im Sommer. Wahrscheinlich wäre ich mit der Situation besser umgegangen, wenn ich nicht diesen Blick in seinen Augen gesehen hätte. Darin lag eine Art Trotz, genug, um bei mir Alarm auszulösen, und ich konnte nicht an mich halten.
»Das ist ja fast dein ganzer Urlaub …«, antwortete ich und hörte entsetzt, wie bittend meine Stimme klang.
»Aber du willst doch sowieso arbeiten. Das hast du dir selbst so ausgesucht, wenn ich mich recht erinnere.«
»Nicht den ganzen Juli.«
»Aber den halben. Rebecka, du kannst nicht von mir verlangen, dass ich meinen Urlaub im Hochsommer hier in der Stadt verbringe und darauf warte, dass du – eventuell, vielleicht, möglicherweise – so viel Zeit übrig hast, um mit mir nach der Arbeit etwas trinken zu gehen? Ich habe ein paar lächerliche Wochen frei, und die möchte ich auch genießen können. Mach’, was du willst.«
Als er das sagte, bebte die Erde unter mir. Ich hatte eine geniale Falle gebaut und war nun selbst hineingetappt. Ich wollte nur noch heulen, Michael anflehen, dass er nicht fahren dürfe. Dass er bleiben müsse. Dass ich mitkommen wolle. Doch nichts dergleichen.
»Wie schade«, parierte ich stattdessen betont nüchtern. »Es wäre nett gewesen, etwas zusammen zu unternehmen, aber dann verschieben wir das eben«, fügte ich hinzu und lächelte so entspannt wie möglich. »Dann fahre ich vielleicht im August noch mal runter nach Griechenland. Mette hat dann Urlaub und will unbedingt verreisen. Vielleicht nach Patmos, kannst du dich erinnern, dass ich davon erzählt habe?« Mehr war nicht nötig, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, und der Punktestand war wieder korrigiert.
»Schaun wir mal«, sagte er, sein letzter Versuch, die Balance wiederherzustellen. An seinen Augen konnte ich die Niederlage so deutlich ablesen, dass mich eine Welle der Sympathie überrollte. Es brach mir fast das Herz.
Die Kontrolle über Mikaels Leben wurde mit der Zeit immer perfekter, wohin er sich auch bewegte, ich sah es voraus. Trotzdem würde ich nicht sagen, dass ich berechnend war. Ich plante ja nichts, nicht die nächste Handlung, auch nicht die Worte, die diesen oder jenen Effekt haben würden. Es geschah einfach, und solange er bei mir blieb, fühlte ich mich in Sicherheit.
Erst als sich alles veränderte, begann der Anfang vom Ende.
»Papa hat heute angerufen. Er hat gesagt, dass er mich vermisst, dass er Sofia und mich bald wiedersehen will. Er hat nur nicht gesagt, wann. Und ich habe auch nicht gefragt. Ich glaube nicht, dass er wieder zurückkommt. Das klang am Telefon gar nicht so. Er hat gesagt, dass Sofia und ich ihn bald besuchen kommen sollen. Aber wenn er hier ist, müssen wir ihn doch gar nicht besuchen, dann ist er doch zu Hause. Deshalb glaube ich nicht, dass er zurückkommt.«
Ich saß aufrecht im Bett, den Rücken gerade und die Decke bis zur Taille hochgezogen. Mein Bettbezug war blau, Sofias rosa. Sie schlief.
»Ich rede mit dir, hör’ mir bitte zu. Ich habe Angst. Wenn nun Papa nie mehr zurückkommt? Mama sagt, dass er das nicht tun wird. Aber er kann uns doch nicht einfach verlassen. Sofia wird bestimmt weinen. Ich will nicht, dass sie weint, dann wird Mama auch weinen, und dann bin ich die Einzige, die nicht weint, obwohl mir eigentlich auch nach Weinen zumute ist.«
Ich betete zu Gott, zu den Engeln, zum Ministerpräsidenten und zum König. Zu allen, die ich kannte und die ich je kennen würde. Der
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