Der Himmel so fern
den dazugehörigen Festlichkeiten zu verzichten war nicht so dramatisch, im Vergleich zu dem Risiko, dass Rebecka einen Rückzieher machen könnte.
Das Pochen im Hals war weniger geworden, und er streckte sich vorsichtig in alle Richtungen. Wenn sie kirchlich geheiratet hätten, dann wäre der Termin heute für ihn nicht so befremdlich gewesen. Vielleicht wäre es sogar dieselbe Pfarrerin gewesen, die Rebecka nun beerdigen würde, die sie damals getraut hatte. Ein Mensch, der sie beide kannte, der ihre Bekenntnisse damals mit angehört hatte, der ihre Liebe vor Gott und der Gemeinde bezeugt und gesegnet hätte oder wie das nun hieß. Jetzt würde er einer Fremden gegenüberstehen, aber vielleicht passte das jetzt sogar. Er hatte das Gefühl, dass es auch eine Fremde war, die er begraben musste.
Je mehr er an Rebecka zurückdachte, desto verschwommener wurde das Bild von ihr. Zuletzt hatten die glücklichen Erinnerungen seine Gedanken beherrscht. War das nur eine Phase gewesen? Etwas, das er hinter sich bringen musste, um der Trauer Schritt für Schritt ernsthaft zu begegnen? Seine Mutter hatte solche Andeutungen gemacht, als er versucht hatte, ihr von diesen Bildern zu berichten, die immer wieder auftauchten. Bilder, die eine glückliche und sanfte Rebecka zeigten, eine, die ihm nah war. Momente, in denen er selbst glücklich und ihr gemeinsames Leben ebenso glasklar wie ihre Liebe gewesen war.
Doch wie passte das in das Bild von einer Person, die offenbar von langer Hand geplant hatte, sich das Leben zu nehmen? Nicht nur bei der Arbeit hatte sie alles aufgeräumt und geordnet. Immer wieder fand er auch in ihrer Wohnung Anzeichen dafür, dass sie genau gewusst haben musste, was bevorstand. Das konnten kleine Zettel sein, die sie an den Kühlschrank geheftet oder ihm im Flur hinterlassen hatte. Diskrete Erinnerungen, nicht die Eigentümerversammlung im Haus zu vergessen oder den Klempner, der sich den Wasserhahn im Badezimmer anschauen wollte. Sie hatte sogar das Auto zur Inspektion gebracht, obwohl sie noch einen Monat Zeit gehabt hätte, und ihren Zahnarzttermin hatte sie auch abgesagt. Lauter Kleinigkeiten, doch ihm war klar, was das zu bedeuten hatte. Sie hatte es gewusst, es hatte Anhaltspunkte gegeben. Er hätte es merken, es durchschauen müssen. Wer sonst wäre dazu in der Lage gewesen? Er war ihr Mann, der Mensch, der ihr am nächsten war, der ihr am nächsten hätte sein müssen. Der sie hätte retten müssen. Wo war er gewesen, als sie ihn gebraucht hatte?
Ich sass da auf dem Bett und versuchte, mit ihm zu reden, doch er hatte sich wieder abgeschottet, und meine tröstenden Bilder und Worte erreichten ihn nicht. Ich hätte alles getan, um ihn von diesen dunklen Gedanken zu befreien. Hätte ihm zu gern gesagt, dass er keine Schuld daran trug, dass es allein meine Entscheidung gewesen war – so verrückt sie auch gewesen sein mag – und dass niemand mir die Schuld abnehmen müsse. Doch er weigerte sich, mir zuzuhören. Das Einzige, was ich tun konnte, war, bei ihm zu sitzen und mit meiner schwerelosen Hand immer wieder über seinen von mir abgewandten Rücken zu streicheln. Bald musste er sich zusammenreißen, das war uns beiden klar. Es gab Dinge, die nicht aufzuschieben waren, die erledigt werden mussten.
Die Beerdigung war nicht gerade ein Kinderspiel. Für keinen von uns. Vergeblich hatte ich gehofft, Arayan würde mir einen Weg zurück aufzeigen, doch es sah so aus, als müsste ich mich mit der mehr als unbefriedigenden Situation, keinen Körper zu haben, abfinden. Es gab keine Hoffnung. Das Leben auf der Erde ging weiter, und – das war mir mittlerweile klar –, und ich hatte damit nichts mehr zu tun. Mein Leben in meinem Körper war vorbei.
Ich würde kirchlich bestattet werden, und ehrlich gesagt, hatte ich nichts dagegen. Vielleicht hatte die Zeit, die ich im Himmel verbracht hatte, ein wenig an meinen religiösen Überzeugungen gekratzt. Oder vielmehr an meinen fehlenden religiösen Überzeugungen. Trotzdem versuchte ich mir einzureden, dass die Beerdigung eine rein symbolische Handlung sei, eine Gelegenheit für Kollegen und Bekannte, ihre Taschentücher zu zücken und ein paar nette, schmeichelhafte Worte über mich fallen zu lassen. Dass es im Grunde darum ging, mich in der Erde zu verscharren. Was sie nun mit dem Körper vorhatten, den ich offenbar für immer verlassen hatte, verdrängte ich lieber. Ebenso wie die Vorstellung, dass Mikael sich in der Kirche endgültig von mir
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