Der Himmel so fern
Frustration verbunden. Wo ich mich befreit, sicher und ruhig fühlte, war er unzufrieden, ungeduldig und hatte ständig das Gefühl, fehl am Platze zu sein. Schon an unserem ersten Abend sprach er davon, dass das ein Übergangsjob sei. Mir fiel es allerdings schwer, darin ein Problem zu sehen. Er war als Makler wirklich gut, kannte den Immobilienmarkt besser als die meisten, verdiente mehr als gut und schnitt bei den Umfragen, die regelmäßig unter Klienten und Käufern gemacht wurden, immer hervorragend ab. Meiner Meinung nach war sein Problem, dass er sich eigentlich nach einem ganz anderen Leben sehnte, während ihm gleichzeitig aber der Mut oder die ausreichende Energie fehlten, etwas zu ändern. Manchmal wollte er einfach nur meine Unterstützung, wie in unserem letzten Gespräch, doch das Spiel spielte ich nicht mit. Aus meiner Sicht konnte er gut und gerne Makler bleiben. Die Schiffsbauerei, von der er träumte, war eben nur ein Traum. Wie die Idee, Fußballprofi in Italien zu werden. Ein netter und sicher lustvoller Gedanke, der leider vollkommen unrealistisch war. Und wer soll die Boote kaufen, fragte ich ihn. Wer wird dich für all die vielen Stunden, die du mit dem Bau beschäftigt bist, bezahlen? Dabei wird ein Produkt herauskommen, das sich niemals rechnet, du musst es nur einmal kalkulieren, dann siehst du es sofort. Oder willst du jemanden anstellen? Ist es vielleicht dein Traum, Projektleiter zu sein? Willst du dafür den Maklerberuf an den Nagel hängen?
Auf diese Art bombardierte ich ihn mit Bedenken. Das war sicher nicht sehr nett, aber wäre es netter gewesen, seine Phantasien noch zu beflügeln?
Das Telefon klingelte wieder. Diesmal war es der Kunde, vielmehr der zukünftige Kunde, der mitteilte, dass das Taxi in fünf Minuten da sein werde. In dem Moment verflogen die letzten Gedanken an das Gespräch mit Mikael. Ich richtete mich auf und spürte die Ruhe, die durch meinen Körper floss. Jetzt ging die Arbeit los.
Mikael schlug die Autotür zu und schloss ab, dann ging er über den gekiesten Parkplatz hinüber zum großen Kirchenportal. Es war ein schöner Tag, wie sonderbar. Die Sonne schien, als sei ihre Stimmung durch nichts in der Welt getrübt. Ihre Strahlen wärmten ihn nicht, doch sie fielen Mikael aus einem flachen Winkel genau ins Gesicht, so dass er blinzeln musste, um nicht geblendet zu werden. Ein Windstoß fuhr zwischen die Äste der großen Kastanien und wiegte sie hin und her. Ein leises Rascheln erklang in seinen Ohren, als die vertrockneten Blätter einen letzten Walzer zusammen tanzten, ehe sie zu Boden fielen. Die Straßengeräusche hörte man von weitem, und sie erinnerten daran, dass die Stille eines Friedhofs doch nie mehr war als eine kleine Oase inmitten der Hast und des allgegenwärtigen Lärms der Stadt.
Einen Moment lang hielt er inne und blickte hinauf zur Fassade der Kapelle und zum Kirchturm, wo ein paar Dohlen ein ruhiges Plätzchen gefunden hatten. Sein Mantel hing lose über dem schwarzen Anzug, und so fuhr der Wind unter den Saum und hob den Stoff, dann fiel dieser wieder gegen seine Hosenbeine. Sein Blick wanderte von den Vögeln hinunter zur Kirchentür. Ihm war, als wäre nicht er hier, sondern ein Fremder. Jemand anderes, der in die Sonne blinzelte, dessen Mantel im Wind wehte. Als sei er selbst gar nicht anwesend. Als hätte er alles nur im Fernsehen gesehen.
Die Eisenklinke fühlte sich kalt an seiner Hand an, und er bemerkte den metallischen Geruch, der an seinen Fingern haften blieb. Der Innenraum war düster, doch es tat gut, hinein ins Warme zu kommen. Er ging durch eine Tür und befand sich nun im Inneren der Kirche. Unmöglich, den Sarg, der ganz vorn stand, zu übersehen, und obwohl er sich innerlich auf diesen Moment vorbereitet hatte, war der Schock größer als gedacht. Sein erster Instinkt war umzudrehen und zu gehen. Schließlich hatte er hiermit doch gar nichts zu tun, es ging um jemand ganz anderen. Was tat er hier eigentlich?
Reine Willenskraft hielt ihn noch am Ort. Und eine Art Pflichtgefühl, woher das auch immer kam. Er machte einen Schritt vorwärts, doch dann hielt er inne. Wie sollte er das durchstehen? Bald würden die anderen kommen. Verwandte, Freunde und Kollegen. Und er stünde im Mittelpunkt, da die Hauptperson leider verhindert war. Alle würden ihn mit milden Gesichtern ansehen, in denen Verständnis und Mitleid zu lesen waren. Sie würden ihn umarmen, ihm die Hand drücken oder auf die Schulter klopfen. Aufmunternde
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