Der Himmel so fern
Gemeindehaus zu kümmern. Er musste ein paar Minuten alleine sein, bevor er imstande war, den nächsten Teil der Beerdigung hinter sich zu bringen.
Als es in der Kirche wieder still war, stand er auf und ging noch einmal nach vorn zum Sarg. In der Luft lag von den vielen Blumen ein schwerer, süßlicher Duft, besonders Vanille, die die prächtigen weißen Lilien verströmten, fast betäubend intensiv.
Schnell sah er sich um, um sicherzugehen, dass er wirklich allein war. »Was machst du eigentlich?«, fragte er leise in Richtung Sarg. »Du bist tot. Wenn du bei mir sein willst und wenn du mich so sehr liebst, wie du es sagst – warum hast du dich dann umgebracht? Begreifst du nicht, wie sehr ich dich vermisse, wenn du so etwas sagst? Wie sehr ich wünschte, du wärst hier? Alles wäre anders.« Er verstummte. Stand mucksmäuschenstill da und wartete auf eine Antwort. Um ihn herum war es ruhig. Dann drehte er sich um, kehrte dem Sarg den Rücken, ging zur Tür und verließ die Kirche.
Sein Handschlag war beinahe schmerzhaft, so dass Mikael sich bemühen musste, kein Gesicht zu verziehen, als der Mann in einem klassisch geschnittenen, schwarzen Anzug vor ihm stand. Sie waren sich schon über den Weg gelaufen, nicht oft, doch immerhin erkannte Mikael ihn. Es war Rebeckas Chef, Björn Rappe, ein Mann in den Sechzigern. Graue Schläfen, doch für sein Alter sah er blendend aus. Wahrscheinlich ein Segler. Mikael hatte so viele von denen kennengelernt, dass er diesen bestimmten Typus sofort erkannte. Kostspielige Boote, sehr gute Ausrüstung, Markenkleidung, ein attraktives, von der Sonne gegerbtes Gesicht, ein paar Stunden auf dem Wasser und dann ein Drei-Gänge-Menü mit Jahrgangswein in einem erstklassigen Restaurant auf einer Schäreninsel.
»Mein Beileid.« Björn Rappe schien es ernst zu meinen. Rebecka war sein Schützling gewesen, schon von Anfang an. Ihr Talent, ihre Karriere und nicht zuletzt ihre Kunden waren ein Teil seines Kapitals gewesen. Vermutlich hatte er selbst genug zu betrauern. »Das war ein Schock für uns alle. Wir hatten ja keine Ahnung, dass sie … Rebecka war ein Mensch, der sehr solide war, über ihr Privatleben wussten wir kaum etwas.«
»Und mir erzählte sie nicht viel von ihrer Arbeit.« Mikael zuckte mit den Schultern.
»Wissen Sie … warum sie es getan hat?«
»Nein.« Mikael betrachtete den Mann, der vor ihm stand, ganz genau, doch in seinen sonnengebräunten Zügen konnte er nichts anderes entdecken als dieselbe Traurigkeit, die allen Gästen rundherum ins Gesicht geschrieben stand. »Möglicherweise litt sie an einer Depression«, antwortete Mikael nach einer kurzen Pause. »Die Polizei hat dahingehend eine Vermutung.«
Björn Rappe nippte an seinem Glas Weißwein und nickte langsam. »Wir werden sie sehr vermissen«, fuhr er mit ernster Stimme fort. »Ihre Frau war eine äußerst fähige Beraterin. Ihre Kunden haben sie sehr geschätzt, und für mich war sie eine der besten Mitarbeiterinnen, die ich je hatte. So viel Engagement findet man selten. Sie wäre noch weit gekommen. Ihnen ist sicherlich bekannt, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie als Juniorpartnerin hätte einsteigen können, und ich bin überzeugt, sie wäre nach und nach die jüngste Seniorpartnerin geworden, die wir je im Unternehmen gehabt hätten. Es wird sehr schwer werden, die Lücke zu füllen, die sie hinterlässt.«
»Sie hat sich bei Ihnen sehr wohl gefühlt. So viel weiß ich. Jedenfalls hat sie niemals etwas erwähnt, das auf das Gegenteil schließen ließ. Aber, wie ich schon sagte, sie sprach nicht viel über ihre Arbeit. Vielleicht lag das auch an mir. Ich habe nicht oft nachgefragt.«
»Meine Frau erkundigt sich auch nicht nach meiner Arbeit. Uns verbinden andere Interessen. Wahrscheinlich war es bei Ihnen und Ihrer Frau dasselbe.« Björn Rappe versuchte, aufmunternd zu lächeln.
»Ja, sicherlich.« Mikael bemühte sich auch, ein freundliches Gesicht zu machen, während er dachte, dass seine Antwort glatt gelogen war. Welche Interessen hatten sie denn gemeinsam gehabt? Traf das nicht gerade den Kern der Sache? In der letzten Zeit hatte er so viel darüber nachgedacht und dabei festgestellt, dass sie eigentlich sehr wenig gemeinsam hatten. Eine Erinnerung kam hoch, keine besonders schöne.
Er hatte mit Rebecka in einem Biergarten gesessen, erst vor ein paar Monaten, es war schon Spätsommer gewesen. Am Abend war es kühl geworden, doch der rot leuchtende Heizstrahler am Dach
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