Der Himmel so fern
verschloss, hatte man keine Chance, an sie heranzukommen. Je mehr man es versuchte, desto weiter zog sie sich ins Innere zurück.«
Mikael holte tief Luft. Als er sie wieder hinausströmen ließ, spürte er, dass seine Augen brannten. Ohne Vorwarnung lief ihm eine Träne über die Wange. Es tat weh zu hören, wie Mette Rebecka beschrieb, auch wenn er sich erleichtert fühlte. Nicht nur er hatte diese Seite von ihr gekannt. Nicht nur ihm hatte sie sich manchmal entzogen.
»Zum Teufel mit ihr«, flüsterte er leise, während immer mehr Tränen über sein Gesicht liefen. Ärgerlich rieb er sie fort. Mette verschwand, kam kurz darauf mit einem Paket Servietten zurück und gab sie ihm. Er nahm eine und schnäuzte sich.
»Ich kann nicht verstehen, wie du es ausgehalten hast, mit ihr zusammenzuleben, obwohl sie so war.« Mette sah ihn mit ernstem Gesicht an.
»Wer sagt denn, dass ich es ausgehalten habe?« Als er diese Worte aussprach, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Daran wollte er gar nicht denken. Wie nahe er am Limit gewesen war. Schnell räusperte er sich und streckte seinen Rücken. »Und was meinst du?«, fragte er und gab sich alle Mühe, seine Stimme unter Kontrolle zu behalten. »War sie depressiv? Die Polizistin, mit der ich gesprochen habe, hat das vermutet.«
»Würde ich nicht sagen. Auf der anderen Seite …« Mette zuckte mit den Achseln und sah ratlos aus. »Ich wusste, dass sie unter Strom stand«, fuhr sie fort. »Aber bei weitem nicht, dass es so ernst war. Woher sollte man wissen, was sie bedrückte, die Arbeit, Probleme mit dir oder ihre Migräne? Rebecka sprach nie über Dinge, die sie belasteten. Das hat sie noch nie getan. Auch früher nicht. Wenn man sich erkundigte, wie es zu Hause lief, dann hatte sie nie etwas zu sagen, obwohl ich wusste, dass ihre Mutter manchmal tagelang mit zugezogenen Gardinen im Bett liegen konnte. Und wenn sie in einer Prüfung schlecht abschnitt, was weiß Gott nicht oft vorkam, durfte man darüber kein Wort verlieren. Sonst konnte sie richtig ausflippen, dann war sie kalt und knallhart, fast unheimlich. Du kennst das, sie drehte einem einfach den Rücken zu und ging. Ihre Grenzen überschritt man nicht.«
»Ich weiß …« Mikael schnäuzte sich wieder, bevor er fortfuhr. »Wie hast
du
das denn ausgehalten?«, fragte er und sah Mette mit großen Augen an.
Sie zögerte und überlegte. »Ich glaube, ich habe gelernt, welche Fragen man stellen durfte und wann der richtige Zeitpunkt war. Und was man besser nicht ansprach. Sie hatte ja auch ihre guten Seiten. Sie war ein ausgesprochen loyaler Mensch, eine echte Freundin. Wenn es jemanden gab, auf den ich mich verlassen konnte, dann auf sie. Sie hat nicht getratscht, nicht hinter meinem Rücken über mich gelästert. Sie war auch nicht neidisch oder eifersüchtig, nie.« Mette hielt inne und reckte sich nach einem Schälchen. »Hier, probier’ doch mal so ein türkisches Konfekt. Dein Körper braucht ein bisschen Zucker! Du bist ja schmal wie ein Hering geworden!«
Mikael musste lachen und nahm einen der puderigen kleinen Würfel. Er schmeckte süß, aber nicht wirklich lecker, und er schluckte ihn schnell mit ein bisschen Saft hinunter. Seine Tränen waren nun getrocknet, und als er sich umschaute, rieb das eingetrocknete Salz in seinen Augenwinkeln. Er war müde.
»Ich muss jetzt los«, sagte er. »Danke, dass ich kommen durfte.«
»Bist du sicher, magst du nicht noch eine Weile bleiben?«
»Nein, ganz sicher.«
Sie nickte langsam. »Ich bin so froh, dass du gekommen bist. Du musst wissen, dass ich mit meinen Gedanken oft bei dir bin, und nach heute Abend wird das nicht anders sein. Mikael, kannst du mir versprechen, dass du dich wieder meldest, wenn du jemanden zum Reden brauchst?« Mette sah ihn bittend an.
»Ja, natürlich, ich versprech’s. Aber erst muss ich die Beerdigung hinter mich bringen.«
Mette griff nach seiner Hand. »Wir werden alle da sein. Wir sind bei dir, ich hoffe, du spürst das.«
»Danke, ich weiß.«
Eine Weile standen sie schweigend da, dann ließ Mette seine Hand los und ging voran zur Wohnungstür. Im Flur war die Luft viel frischer als im Wohnzimmer, wo die vielen Kerzen brannten.
»Weißt du was«, sagte sie plötzlich, als er schon in der Tür stand. »Mich beschleicht das Gefühl, als wäre sie heute Abend bei uns gewesen. Rebecka. Ich meine, in echt. Möglicherweise war sie nicht ganz einverstanden mit dem, worüber wir gesprochen haben.« Mette lachte.
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