Der Himmel so fern
Sie werden noch lange trauern. Auf gewisse Weise immer. Doch dieses Gefühl wird sich mit der Zeit verändern, es wird nicht für den Rest Ihres Lebens so sein, wie es jetzt ist. Es ist schwer, sich das heute vorzustellen, aber Sie werden irgendwann wieder Ihr Leben führen, alle Sinne werden wieder lebendig sein.«
»Woher wissen Sie das?«
»Weil das Leben so ist.«
»Nicht für Rebecka.«
»Sie hat einen anderen Weg gewählt.«
»Wie können Sie so sicher sein, dass ich nicht dasselbe tun werde?«
»Haben Sie das vor?«
Mikael schwieg. Sah wieder zu dem Mann am Kreuz. Er sah elend aus. »Nein«, sagte er leise. »Ich denke, nicht.«
»Das Licht wird wiederkehren, Herr Jolin. Sie sehen es jetzt nur nicht, aber es ist da. Überall um Sie herum. Wir werden heute eine schöne Trauerfeier haben, um uns von Rebecka zu verabschieden«, wiederholte sie und lächelte dabei. Ihre Zähne waren gelblich, vermutlich vom vielen Kaffee, doch von ihrem Lächeln ging eine Wärme aus, und sie strahlte, als er ihr in die Augen sah.
»Werden Sie viel über Gott sprechen?« Diese Frage hatte er schon bei ihrem ersten Treffen stellen wollen, doch es war ihm schwergefallen, die Worte über die Lippen zu bringen.
»Wir sind hier in der Kirche.« Noch immer dieses Lächeln um den Mund.
»Rebecka war nicht gläubig. Im Gegenteil. Ich glaube, sie war sehr enttäuscht.«
Die Pfarrerin nickte nachdenklich. »So geht es vielen. Ich bin nicht hier, um jemanden zu bekehren. Dieser Moment ist für Sie und all die anderen, die sich von Ihrer Frau verabschieden möchten. Ich werde das, was Sie eben gesagt haben, berücksichtigen, doch hin und wieder wird Gott in dieser Andacht schon vorkommen. Glauben Sie, dass das so für sie in Ordnung gewesen wäre?«
Mikael überlegte. »Ja«, sagte er zögernd. »Wahrscheinlich schon.«
Hinterher fand er, dass es wirklich eine schöne Zeremonie gewesen war, genau wie sie es gesagt hatte. Die Worte der Pfarrerin waren sehr lebensnah gewesen, mehr als er zu hoffen gewagt hatte. Sie beschrieb Rebecka als energiegeladene Person, die einen starken Willen besaß, und wie dieser Wille auch am Ende ihres Lebens den Ausschlag gegeben hatte, so dass es den Betroffenen schwerfalle, den Sinn ihrer Tat zu begreifen. Es sei unmöglich, einen anderen Menschen in- und auswendig zu kennen, sagte sie, jeder von uns sei im Grunde ein Mysterium. Rebeckas Entscheidung war schwer zu akzeptieren. Wie konnte das Leben eines jungen, gesunden und geliebten Menschen solch ein Ende nehmen? Das würden wir nie erfahren, behauptete sie. Wir konnten nur vermuten, dass die Dunkelheit in diesem Augenblick so groß gewesen sein musste, dass Rebecka nicht mehr wusste, wie hell das Leben auch sein kann. Als sie dies sagte, wandte sie sich Mikael zu und sah ihn an, und auf irgendeine Art und Weise waren ihre Worte in all der Traurigkeit tröstlich gewesen.
Um ihn herum hatten Bekannte und Unbekannte leise geschluchzt und sich geschnäuzt. Er selbst hatte nicht geweint. Noch immer hatte er das Gefühl, dass jemand anderes hier anwesend war, dass er mit der Sache selbst gar nichts zu tun hatte. Schließlich war der Moment gekommen, an dem er sich am Sarg von Rebecka verabschieden sollte. Er ging als Erster nach vorn und legte, während alle Blicke auf ihm ruhten, eine rote Rose auf den Sargdeckel. Genau an die Stelle, wo das Herz in ihrem Körper, der im Sarg lag, geschlagen hätte. Und da war ihm, als stände sie neben ihm. Fast wäre er zusammengezuckt, so stark war dieses Gefühl. Sie hielt seine Hand ganz fest und sagte immerzu, dass sie ihn liebe und er nicht traurig sein solle. Worte, die ihr in ihrem gemeinsamen Leben fast nie über die Lippen gekommen waren, drangen nun mit einer Selbstverständlichkeit und Kraft zu ihm, dass er den Kopf zur Seite drehte, um nachzuschauen, ob sie dort war.
Als er sich zurück in die Bank setzte, schlug sein Herz bis zum Hals, und er atmete heftig. Birgitta sah ihn besorgt an und fragte leise, wie es ihm ging. Ob er hinausmüsse an die frische Luft. Er schüttelte den Kopf. Das Gefühl von Rebeckas Gegenwart nahm ab, langsam beruhigte er sich und atmete wieder normal. Er beobachtete die vielen Menschen, die der Reihe nach Abschied von seiner Frau nahmen. Die Pfarrerin sprach noch ein paar Worte, dann kam ein Lied, und die Andacht war vorbei.
Er war der Letzte, der die Kirche verließ. Birgitta wollte ihn begleiten, doch er hatte sie gebeten, sich lieber gleich um die Gäste im
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