Der Himmel so fern
und tröstende Worte würde er zu hören bekommen. Niemand würde von ihm erwarten, dass auch er freundlich reagierte, jedem wäre klar, in welch schrecklicher Lebenssituation er sich befand. Und gleichzeitig würden sich alle fragen, was eigentlich passiert war. Warum war Rebecka tot? Niemand würde diese Worte in den Mund nehmen. Sie würden auf den Bänken sitzen und flüstern, in kleinen Träubchen im Gemeindehaus beieinanderstehen und tuscheln.
Warum war Rebecka tot?
Er konnte darauf nicht antworten. Er wusste es nicht.
Mikael sank auf einer der hinteren Bänke nieder. Direkt am Gang, als spielte er noch immer mit dem Gedanken, die Kirche wieder zu verlassen. Als ob er es sich in der nächsten Sekunde anders überlegen und gehen würde. Hinaus in die frische, kalte Luft. Hinaus in die Sonne, die ihm in die Augen stach. Keiner sollte bloß meinen, er habe etwas mit diesem Ereignis heute zu tun. Heimfahren, auf dem Weg Essen einkaufen, sich einen Rotwein einschenken und den Fernseher anschalten.
Sicher, schön sah es aus. Kirchen sind immer schön. Der Sarg dort vorn stand in einem Meer von Blumen, Kränzen und kostspieligen Gestecken. Eines davon mit einem letzten Gruß von ihm selbst. Seine Mutter hatte alles organisiert, sie wusste Bescheid und hatte sich um die Annonce, die Blumen, Essen und Getränke für die Gäste und all die praktischen Dinge gekümmert. Sie hielt auch den Kontakt zum Bestattungsinstitut und hatte ihm versichert, dass alles geregelt sei. Es würden viele Menschen kommen, das war ihm klar. Mindestens fünfzig Personen hatten mitgeteilt, dass sie der Beerdigung beiwohnen wollten. Wer das alles sein mochte? Verwandtschaft gab es ja keine mehr, und ihr Freundeskreis war sehr überschaubar. Vermutlich Kollegen – Gesichter, die er nie zuvor gesehen hatte – würden ihm ihr Beileid aussprechen.
Er schloss die Augen, um sich einen Moment lang zu entspannen, doch bald öffnete er sie wieder. Hinter den Augenlidern wurde es einfach nicht mehr dunkel. Sobald er sie schloss, tauchten Bilder von Rebecka auf. Manchmal waren sie ihm ein Trost, manchmal aber auch die reine Qual, weil sie ihn an das erinnerten, was er verloren hatte. Er zwang sich, noch einmal zum Sarg zu schauen. Dahinter hing ein großes Kruzifix. Der Blick des sterbenden Mannes war nach unten gerichtet. Er sah unendlich traurig aus, als ob auch er einer dieser Fremden sei, die Rebeckas Tod bedauerten.
Mikael zuckte zusammen, als die Tür hinter ihm knarrte. Sein Blick fiel ab vom Kreuz und der Jesusfigur, und er sah auf die Uhr. Noch eine knappe Stunde, dann würde es losgehen. Seine Eltern würden eine halbe Stunde früher kommen, das hatten sie ihm versprochen. Birgitta hatte angeboten, ihm schon vorher Gesellschaft zu leisten, doch er hatte abgelehnt. Mikael drehte sich um. Es war die Pfarrerin, die zur Tür hereingekommen war. Sie lächelte, als sie ihn sah, und er hob leicht die Hand zur Begrüßung, während sie auf ihn zukam. Heute sah sie anders aus. Als sie sich das erste Mal getroffen hatten, hatte sie eine Strickjacke und einen Rock getragen, und nur ihr schlichter Kragen hatte daran erinnert, dass er mit einer Pfarrerin sprach. Nun war sie ganz in Schwarz, und der schwere Stoff schlug an ihre Beine, als sie Mikael entgegenlief.
»Darf ich mich setzen?« Sie nickte auf die Reihe vor ihm.
Mikael machte eine einladende Geste. Gegen ihre Gesellschaft hatte er nichts einzuwenden.
»Es ist ein schöner Tag, nur klirrend kalt«, sagte sie und sah aus dem Fenster hinaus. Mikael folgte ihrem Blick. Das Sonnenlicht schien durch die bunten Glasfenster hinein in den Innenraum und landete als farbige Schatten dort, wo sie saßen.
»Ja, bald wird es anfangen zu schneien«, antwortete er und war erstaunt, wie gefasst seine Stimme jetzt klang.
»Wie geht es Ihnen heute?«
Er zuckte mit den Schultern. »Miserabel, würde ich sagen.«
»Wir werden dafür sorgen, dass es eine schöne Zeremonie wird. Sie wird Ihnen die Trauer nicht nehmen können, doch viele Menschen sagen, dass es nach der Beerdigung leichter wird. Falls das ein Trost ist.«
»Ich weiß nicht. Ich kann mir nur vorstellen, dass es schwerer wird.«
»Wie meinen Sie das?«
»Dann ist es irgendwie eine Tatsache, ein abgeschlossenes Projekt.« Er richtete sich auf, die Worte kamen nicht so, wie er es wollte. »Ich meine, ab morgen ist all das vorbei. Da erwartet man, dass ich wieder anfange zu leben. Nicht wahr?«
»Es ist doch erst so wenig Zeit verstrichen.
Weitere Kostenlose Bücher