Der Himmel so fern
hatte die Luft noch gewärmt. Der Schluck Rotwein hatte in ihm plötzlich eine Sehnsucht geweckt.
»Können wir nicht im Herbst irgendwohin verreisen?«
»Wohin denn?«
»Keine Ahnung. Weit weg. Raus aus der Kälte und der Dunkelheit. Südamerika? Asien? Afrika?«
»Und was sollen wir da?« Rebecka klang skeptisch.
»Reisen, das Land entdecken. Ein bisschen mehr von der Welt erfahren. Etwas Neues erleben.« Mikael versuchte, enthusiastisch zu klingen, doch ihr Tonfall hatte ihn schon etwas gebremst.
»Ich muss beruflich schon so viel reisen, das weißt du doch selbst.«
»Aber das ist doch etwas anderes.«
»Schon.«
»Wir könnten doch mal richtig lange wegfahren.«
»Aber Schatz, was mache ich mit meiner Arbeit?«
»Ich arbeite auch. Lass’ uns doch einfach freinehmen. Seit du als Beraterin angefangen hast, hast du keinen längeren Urlaub am Stück mehr gemacht. Höchstens mal eine Woche hier, eine Woche da. Ich rede von einem Monat. Oder zwei. Oder drei …«
Rebecka lächelte. »Du bist goldig, Mikael«, sagte sie. »Das wäre bestimmt schön, aber weder kann noch will ich so lange weg sein. Mein Job ist kein Spielplatz. Die Leute verlassen sich darauf, dass ich da bin. Und das jeden Tag.«
»Ich verlasse mich auch darauf, dass du da bist. Jeden Tag.«
»Jetzt sei nicht kindisch. Du weißt, wie ich das meine.«
Jetzt waren sie an dem Punkt angelangt, an dem sie schon so oft gestrandet waren. Mittlerweile kamen sie jedes Mal schneller an diese Grenze. Ein eingefahrener Weg, den man einschlug. Er wusste genau, wie es enden würde, dennoch konnte er es sich nicht verkneifen, weiterzubohren.
»Heißt das, deine Kunden sind wichtiger als ich?«
»Jetzt mach’ dich nicht lächerlich, Mikael. Können wir nicht einmal in Ruhe essen gehen, ohne dass du dieses Thema anschneidest? Ich kann dir dabei nicht helfen. Vielleicht solltest du mal über eine Therapie nachdenken, wenn du jemanden zum Reden brauchst.«
»Das ist also deine Lösung? Dass ich eine Therapie mache, um unsere Ehe auszuhalten?«
»Niemand zwingt dich, sie auszuhalten.«
»Und was ist die Alternative?«
»Musst du so laut schreien? Vielleicht sollten wir lieber bezahlen und gehen.«
Mikael verstummte. Irgendwann würde der Moment kommen, an dem er das nicht mehr ertrug. Irgendwann würde ihm die Kraft ausgehen. Heute noch nicht. »Tut mir leid«, sagte er, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte. »Es war nur so eine Idee. Ich sehe ein, dass du nicht einfach alles stehen- und liegenlassen kannst.«
»Nein, das kann ich einfach nicht.« Rebecka legte den Kopf schief und sah ihn beinahe mitleidig an. Dieser Blick verursachte in ihm Brechreiz. Er griff nach seinem Glas Wein und schaute schnell zur Seite. Jetzt keinen Streit mehr, sagte er zu sich selbst. Jetzt keinen Streit mehr.
Die Erinnerung war so schnell wieder verflogen, wie sie gekommen war, als Björn Rappe ihm zum Abschied die Hand entgegenstreckte.
»Falls es irgendetwas gibt, was ich für Sie tun kann, lassen Sie es mich bitte wissen«, sagte er förmlich.
»Danke. Das werde ich tun.« Mikael gab sich Mühe, den festen Händedruck zu erwidern, und eine Sekunde lang empfand er fast eine kindische Freude, als er sah, dass sein Gegenüber vor Schmerz ein wenig zuckte.
Es folgten noch viele Gespräche wie diese. Damen und Herren in dunkler Garderobe kamen auf ihn zu und sprachen ihm sein Beileid aus. Der Geräuschpegel in dem tristen Gemeindehaus war gedämpft. Auf Papiertischdecken standen große Aluminiumplatten mit Fingerfood, das ein Cateringunternehmen angeliefert hatte. Rebecka wäre davon enttäuscht gewesen, die Veranstaltung hatte keine besondere Klasse. Doch sie war selbst schuld. Hätte sie ihre Beerdigung organisieren wollen, dann hätte sie sich eben selbst darum kümmern müssen.
Stellan war natürlich gekommen, Siri und Jonas auch. Sie standen etwas entfernt beieinander und unterhielten sich. Stellan sah hin und wieder zu Mikael hinüber und lächelte aufmunternd, als wolle er ihm ein bisschen Kraft geben. Es läuft gut, mach’ dir keine Sorgen, sagte sein Blick. Siri sah völlig verheult aus und stand meist schweigend da, ihre Hand in die von Jonas verkrampft. Unter ihrem Kleid war die Rundung des Babybauchs deutlich zu sehen. Bald würde ihr Zweites zur Welt kommen. Am anderen Ende des Raumes entdeckte er Mette. Ihre Haut sah neben den roten Haaren noch blasser aus als sonst, sofern das möglich war, und sie trug etwas wirklich Dramatisches, ein schwarzes
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