Der Himmel so fern
nicht zu bemerken. Für gesellschaftlichen Umgang hatte ihr schon immer das Gespür gefehlt. In unserer Familie war ich diejenige gewesen, die extrovertiert war, Sofia hatte sich angeschlossen – wenn sie durfte. Oft war ich ihre Gesellschaft leid und bat sie, sich ihre Freunde selbst zu suchen und eigene Wege zu gehen. Nicht länger an mir zu hängen. Sofia erinnerte mich so an Mutter. Dieses hilflose, welpenhafte Benehmen, das ich so hasste. Jetzt stand sie da und unterhielt sich mit meinem Mann, als gäbe es mich gar nicht, als ob mein Wunsch, mit ihr nichts zu tun zu haben, keinen Pfifferling mehr wert sei. Als sie den Platz schließlich räumen musste, weil wieder Gäste Schlange standen, um Mikael ihr Beileid auszusprechen, fing Mette sie ab und bugsierte sie ans andere Ende des Raumes, wo es ruhiger war und sie ihr Gespräch fortsetzen konnten. Manchmal sah man sie beide lächeln, vermutlich redeten sie über alte Zeiten.
Die Veranstaltung ging langsam zu Ende, die Gäste verabschiedeten sich, zogen teure Mäntel über und verschwanden in den Abend, denn es war bereits dunkel geworden. Ich konnte nicht anders, als Sofia zu folgen, als sie zur Garderobe ging und ihre Jacke überwarf. Mette und sie hatten sich bereits verabschiedet, und so war sie einen Moment lang ganz allein. Sie blieb kurz vor dem Wandspiegel stehen. Erst da konnte ich ihr Gesicht deutlich sehen. Sie war älter geworden, sah aber trotzdem noch jugendlich aus. Wir hatten schon eine gewisse Ähnlichkeit, zweifellos, doch dem Mädchenhaften an Sofias Gesichtszügen hatte ich absichtlich keinen Platz eingeräumt. In meiner Welt punktete man nicht mit Unschuld und Naivität.
Gerade als sie den Reißverschluss hochzog und sich in Richtung Ausgang drehte, hörte ich sie schniefen und sah, wie sie eine Papierserviette aus der Tasche zog. Damit tupfte sie sich die Augen ab und schnäuzte sich leise, dann öffnete sie die Tür und verschwand.
Für eine Sekunde überkam mich ein Gefühl, das man vielleicht Verbundenheit nennen könnte, möglicherweise sogar Sehnsucht, doch im nächsten Moment spürte ich schon die Erleichterung. So schnell, wie sie aufgetaucht war, war sie verschwunden, und ich würde sie nicht wiedersehen müssen.
»Das war ein furchtbarer Tag.«
»Seiner eigenen Beerdigung beizuwohnen kann wirklich schlimm sein.«
»Aber ich hatte doch keine Wahl, oder was meinst du? Ich konnte doch nicht einfach abhauen, wo so viele Menschen gekommen waren. Ein Fünkchen Anstand sollte man schließlich im Körper haben. Auch wenn man keinen Körper mehr hat.«
»Viele waren da, um sich von dir zu verabschieden.«
»Und einige, die lieber nicht hätten kommen sollen …«
»Jeder, der da war, hatte seinen Grund.«
»Aber was wollte Sofia wirklich? Triumphieren? Mir vorführen, wer von uns den richtigen Weg eingeschlagen hat? Weil sie diejenige ist, die lebt, und ich diejenige bin, die tot ist? Als ob ich das nicht wüsste. Ich habe es mir selbst ausgesucht, das hat sie vielleicht vergessen!«
»Bist du der Meinung, dass sie deswegen kam?«
»Was sollte sonst der Grund sein? Wir waren uns fremd geworden, schließlich haben wir uns lange nicht mehr gesehen. Ich habe den Kontakt zu ihr abgebrochen.«
»Sie ist deine Schwester. Vielleicht kam sie aus Respekt vor dir.«
»Respekt?! Du machst Witze. Du hast selbst gesehen, wie sie Mikael angegrinst hat. Sie war sogar so dreist, ihm vorzuschlagen, sich wiederzusehen, als ob sie sich auf einer Cocktailparty befände!«
»Hinter den Gefühlen, die von außen betrachtet oberflächlich wirken mögen, kann auch eine tiefe Trauer stecken.«
»Dann stiehlt sie jetzt auch noch meine Trauer? Wer wurde denn hier begraben?«
»Du, Rebecka. Es war deine Beerdigung. Du bist diejenige, die tot ist.«
Dieses Mal war ich nicht so aufgeregt, ich wusste ja, was mich erwartete, aber wirklich freuen konnte ich mich trotzdem nicht. Anna und Valdemar waren bereits vor Ort. Sie unterhielten sich, als ich auftauchte. Anna wirkte ausgeglichener als beim letzten Mal, und Valdemar strahlte, als er mich erblickte.
»Rebecka, wie nett!«, begrüßte er mich und lächelte. Wieder kam mir der Gedanke, dass er in jungen Jahren sicher ein attraktiver Mann gewesen war. Noch immer war er hochgewachsen, ging nicht gebeugt. Seine Kleidung war wie beim letzten Treffen tadellos, sogar die Schuhe blitzten. »Dann warten wir jetzt nur noch auf Birger«, fügte er hinzu und sah sich um. »Er wird schon kommen.« In seiner
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