Der Himmel so fern
würde ich sie nichts angehen. Manchmal tat das sehr weh. Ich wollte sie berühren, sie zu einer Reaktion bewegen.«
»Und wie? Wie wolltest du sie dazu bringen?«
»Keine Ahnung … Ich fürchte, ich habe mich verdammt kindisch benommen. Habe versucht, es ihr auf eine blöde Art heimzuzahlen. Dumme Geschichten. Habe mich nicht gemeldet, wenn ich später kam, habe meine Zeit verplant, wenn ich wusste, dass sie freihatte, tat völlig teilnahmslos, wenn sie etwas erzählte …« Mikael legte den Kopf zwischen seine Hände und wiegte ihn langsam hin und her.
»Half es denn?«
»Kein bisschen.« Er sah wieder auf. »Nicht einmal als ich so tat, als hätte ich ihren Geburtstag vergessen, kam eine Reaktion.«
»Also war das Einzige, was blieb, sie zu verlassen?«
Mikael lehnte sich zurück und starrte eine Weile an die Decke. Dann sah er Sofia wieder an.
»Ja, vielleicht war es so.« Mit einem Seufzer atmete er aus. Das Gespräch hatte ihn wieder einmal müde gemacht. Wahrscheinlich sah man ihm das an, denn Sofia stellte keine Fragen mehr. Stattdessen stellte sie ihr Weinglas ab und erhob sich.
»Ich muss jetzt wirklich nach Hause, sonst fühlt Travolta sich völlig verlassen«, erklärte sie und lächelte.
Mikael nickte und begleitete sie in den Flur. Er sehnte sich nach der Stille und Ruhe, an die er sich so gewöhnt hatte, aber ein Teil von ihm hätte sich auch gern noch länger mit Sofia unterhalten. Vielleicht war es die Ähnlichkeit mit Rebecka, die da herumspukte, vielleicht war es auch die Überdosis Einsamkeit, die der Grund für seine Sehnsucht nach Gesellschaft war. Sofia brachte ihn dazu, Unvorgesehenes zu sagen und zu denken. Ob das gut oder schlecht war, wusste er nicht, aber schon bevor sie überhaupt gegangen war, vermisste er ihre Fragen und ihren Blick.
»Vielleicht sehen wir uns wieder?«, fragte er, während sie wieder in die Stiefel schlüpfte. »Vielleicht zu einem Spaziergang am Wochenende?«
»Gerne.« Sie richtete sich auf und lächelte. »Wo wirst du Weihnachten verbringen?«
Mikael seufzte. »Ich wünschte, ich könnte Weihnachten ausfallen lassen, aber wahrscheinlich werde ich zu meinen Eltern fahren. Ich habe seit mehr als zehn Jahren nicht mehr mit ihnen gefeiert.«
»Wart ihr immer unter euch?«
»Ja, und einige Male sind wir verreist. Rebecka hielt ja nicht viel von diesen Familienfeiern. Ich meine, auch mit meiner Familie nicht.«
Sofia nickte sacht, dann lächelte sie wieder. »Ruf’ doch an, ein Spaziergang wäre wunderbar.« Sie machte einen Schritt auf ihn zu und umarmte ihn. Es ging ganz schnell, er konnte sie gar nicht drücken. »Danke, dass du mich eingeladen hast«, sagte sie. »Das tat gut.«
Als sie dann die Tür hinter sich geschlossen hatte, blieb Mikael im Flur stehen. Das Gefühl ihres warmen Körpers war noch spürbar, und er wagte es kaum, sich zu bewegen, aus Angst, es könne verschwinden. Für einen kurzen Moment hatte er Rebecka wieder in seinen Armen gespürt. Für eine Zehntelsekunde hatte er die Augen geschlossen und sie fühlen können.
Langsam drehte er sich um und ging ins Schlafzimmer. Er sank aufs Bett. Dort saß er lange. Er spürte Rebecka ganz nah bei sich, als säße sie an seiner Seite.
»Warum hast du das getan?«, flüsterte er in die leere Luft. »War es meine Schuld?« Er lauschte, ließ Platz für ihre Antwort, die nicht kam. »Hast du mir nicht mehr vertraut?« Seine Stimme war schwach und die Stimmbänder gespannt, weil er die Tränen unterdrückte. »Hast du dich deshalb umgebracht? Hast du deshalb unser Kind nicht behalten?« Als er diese Worte aussprach, flossen die Tränen. Er hatte sich an sie gewöhnt und ließ sie fließen, über seine Wangen laufen. Er saß ruhig in der Stille, die auf seine unbeantworteten Fragen folgte. Dann fiel sein Blick auf den Marmorengel, der noch auf dem Nachttisch stand, Sofia musste ihn vergessen haben. Er nahm ihn in die Hand. Solange er zurückdenken konnte, hatte er auf ihrem Nachttisch gestanden, aber noch nie hatte er ihn in die Hand genommen. Die weiße Steinoberfläche war glatt und kühl, und dennoch strahlte ein warmes Gefühl von der Hand in seinen Arm. Er schloss die Augen und drückte den kleinen Engel innig. Und plötzlich war sie da.
Ich sass bei ihm. Legte meine Hand über seine, die den Engel fest umschloss. Dann lehnte ich meinen Kopf an seine Schulter.
»Es war nicht deine Schuld«, sagte ich und ließ meinen Atem seinen Hals liebkosen. »Es war niemals deine Schuld.«
Eine
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