Der Himmel ueber Dem Boesen
fortschrittlicher und
lebendiger
als Ledwardine. Aber ich vermute, das hat auch seine Schattenseiten. Man kann natürlich behaupten, das alles wäre bloß überspannter Unsinn, aber wenn jemand viel zu früh stirbt, der fünf Jahre lang unter einer Hochspannungsleitung gewohnt hat, vergisst man eben allzu leicht all die anderen Leute, die ihr halbes Leben unter so einem Mast verbracht haben und sechsundneunzig Jahre alt geworden sind.»
«Und die Erscheinungen? Die Halluzinationen? Die kleinen grauen Männer mit den Riesenaugen?»
«Früher wurden angeblich elektrische Geräte von Außerirdischen gestört. Inzwischen heißt es, dass Elektrizität die Außerirdischen überhaupt erst
entstehen
lässt.»
«Von mir aus», sagte Huw. «Und ich kann auch akzeptieren, dass elektrische Stimulationen der Schläfenlappen das Gefühl einer ‹Anwesenheit› hervorrufen. Aber das ist noch nicht alles. Esist nur eine weitere rationale Erklärung, der wir uns bewusst sein müssen. Eine weitere Mine im Minenfeld.»
Erleichtert lehnte sich Merrily zurück. Sie hätte sich gleich denken können, dass er sich in diesen Sachen auskannte. Schließlich hatte er Dutzende wissenschaftlicher und esoterischer Zeitschriften abonniert, und seine Bibliothek erstreckte sich über vier Zimmer seines Pfarrhauses.
«Oberflächlich gesehen verändert sich die Welt unheimlich schnell, Merrily.» Er schnippte ein paar Krümel von seinem Hemd. «Dein Bekannter hat recht: Wir sind überall von elektrischen Verteilern und Empfängern umgeben. Wir haben Überwachungskameras in jedem Stadtzentrum, und die Technikindustrie überschüttet uns mit Ramschangeboten, deren einzige Besonderheit ist, dass sie irgendeine nutzlose Funktion haben, die das Vorgängermodell noch nicht hatte. Und kein Mensch will darüber reden, was all diese Strahlungen wirklich in unserem Gehirn auslösen, schließlich wäre sonst der nächste Industriezweig am Ende. Ja, ich glaube gern, dass eine bestimmte Strahlungsenergie zusammen mit elektromagnetischen Feldern auf engem Raum eine Art … wie hieß das nochmal?»
«Hotspot.»
«… Hotspot aufbauen kann. Mit etwas Abstand betrachtet, zeigen solche Geschichten jedenfalls, dass wir uns noch nicht weit vom Mittelalter entfernt haben. Wir sind genauso leicht zu beeindrucken wie die Menschen von damals. Wenn so eine Story die Runde macht, glauben plötzlich fünf Mal so viele Menschen, sie hätten einen Hirntumor, wenn sie leichte Kopfschmerzen bekommen. Und fünf Mal so viele Kinder
glauben
an nächtliche Besucher, auch wenn es nur ein schlechter Traum war oder die Spiegelung von Scheinwerfern im Schlafzimmerfenster. Und wenn der Gemeindepfarrer dort so unzugänglich ist, wie Sie sagen, an wen sollen sich die Leute dann mit ihren Ängsten wenden?»
«Und warum …» Merrily zögerte. «Warum sind Sie gekommen, Huw?»
Er tauchte den nächsten Keks in den Tee. «Merrily, wenn Sie glauben, ich wüsste, was ich tue, dann irren Sie sich. Wenn Sie mich für einen ausgeglichenen alten Hippie halten, der alles locker sieht und den nichts aufregen kann, dann irren Sie sich genauso. In Wahrheit wissen Sie überhaupt nichts über mich.»
«Dann erzählen Sie mir doch mal was.»
«Ich bin in Wirklichkeit das reinste Nervenbündel. Ein brodelnder Kessel voll Reue und Hass. Ach ja. Und Gott habe ich auch schon gehasst, und zwar genauso erbittert wie manche andere.»
«Und Donna Furlowe?», sagte Merrily. «Wer ist das?»
Stille.
«Sie haben sich den Namen gemerkt», sagte Huw.
«Nur, weil Sie ihn vorhin genannt haben. Wer ist sie?»
«Sie ist …», sagte Huw, «… nicht mehr.»
Und Jane, die an der Tür gelauscht hatte, schlich sich weg.
«Ich kannte ihre Mutter, wissen Sie», sagte Huw.
Merrily setzte sich. Huw sah auf seine Hände hinunter, dann schob er den Teebecher und die Kekse von sich.
«Ihre Mutter wohnte in Brecon, sie hieß Julia. Sie repräsentierte alles, was ich nicht mochte. War gutsituiert. Die Witwe eines Typs, dessen Unternehmen alte Landgüter aufkaufte, um sie dann an Leute seines eigenen Schlags weiterzuverhökern – reiches Volk ohne Bindungen und Wurzeln, das sich auch mal ein bisschen Landleben gönnen und einen netten Berg mit Aussicht kaufen will. Julia wohnte in einem sehr schönen alten Bauernhaus unten in Richtung Bwlch und ging zum Beten in die Kathedrale von Brecon.»
Merrily hielt Huw für einen Sozialisten des alten, eigentlich längst ausgestorbenen Schlags. Seine Verachtung
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