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Der Himmel ueber Dem Boesen

Der Himmel ueber Dem Boesen

Titel: Der Himmel ueber Dem Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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hinüber. Er biss sich auf die Unterlippe, so wie Mom es machte, wenn etwas, das sie beunruhigte, langsam Gestalt annahm.
    In einer traditionellen Ballade gibt es kein Wort zu viel und keine Sentimentalitäten. Also vergingen die Jahre, und das Haar der Edeldame im Turm wurde langsam grau. Ihr Vater brachteihr passende Freier an die Tür, aber natürlich war sie nicht interessiert und weigerte sich sogar, sie zu empfangen. Jane dachte an Penelope, die Königin von Ithaka, die darauf wartete, dass Odysseus aus Troja zurückkehrte.
    Die Jahreszeiten kommen und geh’n,
    Und sie weint und klagt ihr Lied.
    Die Blumen erblüh’n und welken dahin.
    Wie lang noch dauert dieser Krieg?
    Und plötzlich, in diesem
telepathischen
Moment, hörte Jane, was Lol – da war sie sicher – ebenfalls hören musste: den schrecklichen Hintersinn dieses Songs. Die Einsicht hatte sie gestreift wie eine geisterhafte Schleiereule; Jane war sicher, dass sie sogar zusammengezuckt war.
    Das Lied spiegelte Lols eigene Situation. Der Turm war der Speicher am Rand von Profs Land, und die Person im Turm war Lol selbst – der Lol, der stundenlang warten würde   … Tage   … Wochen, bis Mom zu ihm kam   …
Mom
musste zu
ihm
kommen, weil ihre Affäre geheim war. Und Mom war draußen in der Welt unterwegs, um einer Berufung zu folgen, die zweitausend Jahre lang den Männern vorbehalten gewesen war   … und Mom arbeitete in den finsteren Winkeln, in die diese Berufung einen führen konnte.
    Es war Mom, die draußen im Krieg war.
    Moiras Stimme klang zart und verzweifelt. Es war eine Stimme, die das Klischee der Balladenform zunichtemachte und nicht nach Bier stinkende Folk-Clubs heraufbeschwor, sondern rauchige Jazzkeller einer anderen Ära. Eine Stimme voll schicksalhafter Liebe.
    Jane dachte entsetzt:
Es muss sich ändern, oder? Es kann nicht so weitergehen.
Sie wusste, dass Lol seine Musik – verglichen mit Moms spiritueller Arbeit – für trivial hielt. Wahrscheinlich fühlteer sich hilflos   … wütend und   … unfähig, so wie früher, in den Zeiten, in denen er keine Medikamente genommen hatte. Als würde er außerhalb der Aufnahmekabine gar nicht existieren. Er würde nie auf die Idee kommen, dass Mom – und die Kirche natürlich – sich einer Selbsttäuschung hingab. Für Lol zählte nicht die Gültigkeit dessen, was Mom tat, sondern dass sie überhaupt in der Lage war, es zu tun.
    Eines schönen Morgens sieht die Edeldame aus dem Lied von ihrem Turm herab, erblickt einen einsamen Reitersmann, und ihr Herz tut einen Satz. An diesem Punkt sang Moira eine ganze Oktave höher, und Jane sah Profs Glatzkopf zufrieden nicken.
    Sie wusste nicht, wie genau das Lied ausgehen würde, aber sie kannte sich mit traditioneller Musik ein bisschen aus und bemerkte den schrillen Klang von Angst und falscher Hoffnung, als Moira sang:
    Es war die blaue Frühlingszeit,
    die Sonne stand am Himmel,
    vom Pferd herab der Bote steigt,
    die Augen voller Dunkel.
    Genau. Und wenn ihr Liebhaber sich das nächste Mal im Turm blicken lassen würde, dann als Geistererscheinung. Es war immer ein Geist.
Letzte Nacht kam er zu mir   … mein toter Liebster kam herein   …
    Als die nächste Strophe ausblieb, blickte Jane nach unten und sah, dass die Finger der Cairns von den Saiten geglitten waren. Einen Moment lang stand sie da, als hätte sie den Text vergessen, und dann hörte Jane sie durchs Studio rufen: «Hör mal, Prof, dabei lassen wir es für heute, ja?»
    Prof sagte etwas, das Jane nicht hörte. Eirion klammerte sich an das Geländer der Galerie und atmete ein Wort aus. Vermutlich war es
«Phantastisch»
.
    «Gut», gab Moira auf Profs Satz zurück. «Ich hatte nur gerade so ein komisches Gefühl, als ob   … egal. Machen wir weiter.»
     
    Wieder im Auto, sagte Detective Inspector Frannie Bliss: «Wenn Sie mich fragen, dann wissen diese Leute aus dem Ort verdammt nochmal Bescheid – ich meine die richtigen Einheimischen, nicht die Zugezogenen. Sie haben uns ja mehr oder weniger einen weiteren Namen verraten: Melanie Pullman.»
    «Sie sind immer noch misstrauisch, was die Menschen vom Land angeht, oder, Frannie?», sagte Merrily. «Sie verstehen sie nicht, also machen sie Ihnen ein bisschen Angst.»
    «Quatsch.» Bliss fuhr an dem Pub mit dem Hasenschild vorbei, in dem Merrily und Gomer noch am Abend zuvor gewartet hatten, bis Roddy mit seiner   … Fracht vorbeifuhr.
    «Nein   … na gut, sie
machen
mir Angst. Die haben andere Sitten. Es ist

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