Der Himmel über Garmisch (German Edition)
warum seine Laune nicht besser war, während er hinter den beiden Frauen den Weg in Richtung Hochalm hinaufstapfte. Burgl und Karin Zettel waren in ein Gespräch vertieft, dem er nicht folgen konnte, da sein Rückstand mittlerweile auf fast fünfzig Meter angewachsen war. Das lag nicht an seiner Kondition, wie er sich einzureden versuchte, sondern an mangelnder Motivation, die er auf seinen außerplanmäßigen morgendlichen Einsatz bei Frau Fuchs zurückführte. Andererseits stand es mit seiner Laune generell nicht zum Besten, außerdem spürte er im rechten Schuh eine Falte in der Socke – deutlich genug, dass es unangenehm war, andererseits nicht stark genug, um einen Halt zu rechtfertigen.
Er machte einer Gruppe Mountainbiker Platz, die in einem Höllentempo vom Hochalmweg heruntergeschossen kamen und an ihm in einer Art vorbeiflogen, als freuten sie sich auf den nächsten Sturz.
Die Frauen warteten an einer Schneekanone unter dem Kandahar-Express auf ihn. Burgl schien eine Bemerkung über sein Tempo zu machen, jedenfalls amüsierten sich beide prächtig über das Gesagte.
»Was ist los, alter Mann?«, rief Burgl ihm entgegen.
»Mein Schuh kneift, und ich bin nicht ausgeschlafen«, antwortete er.
»Halbes Stündchen noch.« Sie marschierten weiter.
Ihre Schätzung war ein bisschen zu optimistisch, was daran lag, dass sie ihr Tempo an Schwemmers anpassten. Er hielt tapfer durch, aber als er sich oben auf eine der Bierbänke sinken ließ, konnte er seine Erleichterung nicht verbergen.
»Sie sitzen, glaub ich, zu viel am Schreibtisch«, sagte Zettel lachend.
Statt einer Antwort bestellte Schwemmer bei der Bedienung ein Helles und die Speisekarte. Nach einem kurzen Zögern schloss Zettel sich der Bestellung an. Burgl beließ es bei Apfelschorle.
Das Wetter, die wunderbare Fernsicht und die Vorfreude auf seine Halbe steigerten seine Laune so weit, dass er sich nicht mehr verstellen musste, um als erträglich durchzugehen. Burgl ließ sich mit geschlossenen Augen die Sonne ins Gesicht scheinen. Zettels Laune allerdings schien durch die Atmosphäre eher verdüstert zu werden.
»Das ist so schön hier«, sagte sie leise.
»Ja. Genießen Sie es«, sagte Schwemmer.
»Ob ich es auch mit Théo hier hoch schaffe?«
»Mit der Bahn geht das auf jeden Fall«, sagte Burgl.
»Ja. Mit der Bahn …«
»Ist nicht dasselbe«, sagte Schwemmer.
Die Bedienung brachte Getränke und Speisekarte, sie prosteten sich zu. Schwemmer warf einen Blick auf die Karte und entschied sich binnen Sekunden für den Hirschbraten. Die Tische und Bierbänke um sie herum füllten sich immer mehr, die Hochalmbahn spuckte alle paar Minuten zwei Dutzend Menschen aus, und er musste sich eingestehen, dass elf Uhr tatsächlich nicht zu früh gewesen war.
»Er ist manchmal hier hochgelaufen. Ich meine: Er ist gelaufen .«
»Oh«, sagte Schwemmer. »Respekt.«
»Er war immer so sportlich … Ich mach mir Sorgen. Ich weiß nicht, wie er das alles wegstecken wird … Und ob ich es ertragen kann«, setzte sie kaum hörbar hinzu.
»Ein Problem nach dem anderen«, sagte Burgl. »Ich habe mit meinem Kollegen gesprochen. Wir werden einen Therapeuten finden. Schnell. Sobald klar ist, wann die Reha vorbei ist.«
»Danke«, murmelte Zettel.
Schwemmer trank von seinem Hellen, aber der Anflug heiterer Stimmung war von Zettels Sorgen vertrieben worden. Er versuchte, nicht daran zu denken, dass Grellmayer unbehelligt bleiben würde für das, was er getan hatte. Es machte sein Bier nicht schmackhafter.
»Haben Sie gestern den Film gesehen?«, fragte Zettel. »Mit Al Pacino?«
»Ich glaube, er hat noch nie einen Al-Pacino-Film verpasst«, sagte Burgl.
»Doch«, sagte Schwemmer. »Den ›Duft der Frauen‹.«
»War ja klar.« Burgl lachte.
»Ich hab ihn gesehen«, sagte Schwemmer. »›Serpico‹. Nicht so richtig erhebend für einen Polizisten.«
»Erst recht nicht für eine Ex-Polizistin«, sagte Zettel.
Serpico hat nicht gekündigt, dachte Schwemmer, aber er wagte nicht, es auszusprechen.
»Ich kenn den gar nicht«, sagte Burgl. »Ich dachte, das wär ’ne Serie gewesen.«
»War es auch«, sagte Schwemmer. »Aber vorher war es ein Buch und ein Film. Als ich den das erste Mal gesehen habe, konnte ich nicht glauben, dass das eine wahre Geschichte ist. Dass neunundneunzig Prozent der Cops in New York korrupt sein sollten.«
»Und wie viele sind es in Garmisch?«, fragte Zettel.
»Keine Ahnung«, sagte Schwemmer. »Ich bin beim LKA . Da sind
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