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Der Himmel über New York (German Edition)

Der Himmel über New York (German Edition)

Titel: Der Himmel über New York (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Carl
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Langeweile hat mich müde gemacht. Mit dir war ich auf der sicheren Seite.
    Aber da will ich nicht mehr sein.
    Erinnerst du dich an diesen Abend im Januar? Wahrscheinlich nicht, für dich war es einer wie jeder andere. Wir lagen auf dem Sofa, stundenlang, ohne etwas zu tun. Ich fragte mich die ganze Zeit, ob ich jetzt aufstehen und meine Kontaktlinsen sauber machen oder mir noch eine Pizza aufwärmen sollte. Auf einmal hast du gesagt: »Mit dir kann man so schön wegdriften.« Aber du warst allein auf der Reise und hast es nicht gemerkt.
    Es liegt nicht an dir. Na ja, nicht nur. Es gibt auch einen anderen Mann. Drei Stunden sind wir gestern Abend durch die Straßen der Lower East Side gelaufen und haben geredet. Um zwei Uhr nachts saßen wir in einem Café mit Rosentapete und grünen Plüschsesseln und goldenen Engelkerzenleuchtern, und irgendwann hat Leroy einfach seine Hand unter mein Haar geschoben und mich angesehen. Und dann aus einem Gedicht von Jack Kerouac zitiert.
    In some cases, the moon is you. In any case, the moon.
    Danach hat er mich geküsst. Was heißt geküsst: In mich reingesunken ist er, mit sofakissenweichen Lippen und einer Zunge wie ein kleines warmes Tier.
    Das war alles. Aber es bleibt nicht alles. Ich kann den Weißwein noch schmecken. Und ihn.

    Ich lese die Mail noch einmal durch. Markiere alles bis auf die ersten zwei Sätze. Die Taste mit dem Pfeil nach links macht es ungeschehen. Wie einfach wäre alles, wenn ich den Speicher in meinem Kopf genauso löschen könnte.
    Ich will Max nicht wehtun. Nicht alles noch schlimmer machen, als es ohnehin schon ist. Wenigstens für ihn. Ich fühle mich, als müsste ich ein griechisches Kreuzworträtsel lösen. Ohne eine Wort Griechisch zu können.

    Lieber Max,
    ich sitze gerade in der Newsbar am Union Square, trinke Latte Macchiato auf Eis, esse einen Blaubeer-Haferflocken-Muffin und schreibe E-Mails. Tut mir leid, dass ich die letzten Male am Telefon so kurz angebunden war. Die Tage hier sind einfach so spannend, dass ich zu nichts mehr komme. Nicht zum Telefonieren mit dir, geschweige denn zum Nachdenken darüber, was ich aus meinem Leben machen will.
    Ich überlege allerdings manchmal, wie es mit uns beiden weitergehen soll. Ich meine, bist du eigentlich sicher, dass wir noch zusammenpassen? Wir haben so unterschiedliche Interessen in letzter Zeit. Schreib mir doch mal, was du darüber denkst. Es ist nur so ein Gefühl, ich bin mir auch nicht sicher, was ich will. Aber ich finde, es wäre nicht fair, wenn ich das für mich behalten würde.
    Jenny

    Ich lösche den letzten Satz (ich behalte etwas ganz anderes für mich, ich habe kein Recht, das Wort »fair« zu benutzen!) und klicke auf den Send-Mail -Button.
    Fehler! Mahnt mich das Programm. Sind Sie sicher, dass Sie die Mail ohne Betreffzeile abschicken wollen?
    Es muss schnell gehen. Irgendetwas mit Freiheit zu tun haben und mit mir. Bevor ich auch nur anfangen kann zu denken, haben meine Finger schon mit dem Tippen begonnen.
    Betreff: Lady Liberty.

11.

    U m zehn Uhr abends, im gelben Café in der 9 th Street, warte ich auf Leroy.
    Wie schrecklich aufregend. Wie weltgewandt. Und wie cool.
    Auf dem Holztisch vor mir steht eine leere Weinflasche mit Kerzenwachsspuren in allen Regenbogenfarben. In der Hitze sind die erstarrten Tröpfchen weich geworden. Sieht aus, als würden sogar sie schwitzen. Ein schwarzer Deckenventilator quirlt heiße Luft durch den Raum. Ich sitze still und tupfe mir ab und zu mit einer Papierserviette aus dem Aluminiumhalter Schweißtropfen von Nase und Oberlippe. Draußen zerschneidet das Geräusch an- und abschwellender Sirenen die Abendluft, Taxis hupen, Musikfetzen dringen aus Autofenstern.
    Gäste haben die Wand des Cafés zur Pinnwand umfunktioniert. Suche WG-Zimmer, biete Saxofonunterricht. Ein Benefizkonzert für einen Mann in einer texanischen Todeszelle, ein Abend mit Bob-Dylan-Coverversionen.
    Mittendrin hängt ein Plakat mit der Freiheitsstatue. Sie kauert im Rinnstein, umklammert ihre Waden und hat den Kopf auf die Knie gelegt, mit schief sitzender Krone und ohne Fackel in der Hand. Lower East Side Charity Movement, steht in klobigen Buchstaben über der Zeichnung auf dem Plakat, darunter eine Adresse, bei der man rund um die Uhr seine abgetragenen Kleider für Obdachlose spenden kann.
    Das Lokal erinnert mich an Freiburger Studentenkneipen. Im Univiertel habe ich noch vor ein paar Monaten meine Freistunden verbracht. Paula und ich blätterten in

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