Der Himmel über New York (German Edition)
sie hoffen, dort einen Job als Bedienung zu bekommen.«
»In Kalifornien ist doch jeder ein Schauspieler, egal was er beruflich macht«, wirft Lydia ein und wendet sich Leroy zu. »Weißt du noch, Big Boy? Die letzte Slam-Tour an der Westküste? Du musst nur den Mund aufmachen und irgendwas sagen, völlig egal was, und die Leute flippen aus.«
»Waas, es reeegnet?« Leroy reißt theatralisch die Augen auf und schlägt sich die Hände vors Gesicht. »Oh mein Gooooottt!«
»Und du hast eine Nase im Gesicht und Haare auf dem Kopf! Uuunglaubliiich!« Lydia und Leroy heben die Hände und klatschen sich schwungvoll ab.
Unsicher werfe ich einen Seitenblick auf Paco. Ob der das gut findet, wie eng Lydia und Leroy befreundet sind? Wie sie sich Worte zuwerfen, Blicke, Andeutungen? Aber er lacht entspannt mit, also entspanne ich mich auch.
»Ich will gar nicht unbedingt zum Film«, werfe ich ein. »Ich finde auch das Theater interessant.«
»Dasselbe in Grün.« Paco winkt ab. »Kannst du in New York prima sehen. Frag mal ein Mädchen, das in den Salatbars am Times Square die Schüsseln auffüllt. Ich wette mit dir, entweder sie wartet auf ein Engagement am Broadway oder sie ist verhindertes Model. Oder sie versucht es an der Kunstakademie.«
Chang fällt ihm ins Wort. »Du hast leicht reden, mit deinem gut bezahlten Job als Webdesigner. Einfach nur Glück hast du, dass du mit deinen Träumen der Welt ins Konzept passt. Wunderbar, wenn du damit reich und happy gleichzeitig wirst. Ich weiß nicht, ob ich irgendwann von meiner Kunst leben kann, aber ich kann mir auch nichts anderes vorstellen. Und was hat Jenny davon, wenn sie Anwältin wird, einen Haufen Geld verdient, aber damit nicht glücklich ist?«
»Es geht nicht nur ums Geld«, sage ich.
»Ich weiß nicht viel über Deutschland«, sagt Leroy langsam, »aber ich finde, Rechtsanwälte haben einen ehrenwerten Beruf.«
»Hört, hört!«, neckt Amy ihn, aber er sieht auf einmal aus, als würde er keinen Spaß mehr verstehen.
»In diesem Land hier könnten wir verdammt noch mal mehr von ihnen gebrauchen, und zwar solche, die sich wirklich für ihre Mandanten einsetzen, egal, ob die Geld haben oder nicht«, entgegnet er heftig.
»Du denkst wieder an Rick«, sagt Lydia und legt ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter.
»Ich denke nicht wieder an Rick. Ich denke immer an Rick. Versteht das denn hier keiner?«
Brütende Stille legt sich über den Tisch. Keiner sieht Leroy an. Unmöglich, zu fragen.
Schließlich stehen Lydia und Chang gleichzeitig auf und stoßen dabei fast mit den Köpfen aneinander. Eine Szene wie aus einem Dick-und-Doof-Stummfilm, aber keiner lacht. Das Geräusch der schmutzigen Messer und Gabeln auf den zerkratzten Tellern klingt plötzlich unnatürlich laut in das Schweigen hinein. Paco und Bob greifen gleichzeitig nach einer zerknüllten Zigarettenschachtel.
»Jenny«, sagt Leroy leise, »ich wäre gern mit dir allein.«
10.
H i, Max,
ich sitze gerade in der Newsbar am Union Square, trinke Latte Macchiato auf Eis, esse einen Blaubeer-Haferflocken-Muffin und schreibe E-Mails.
Tut mir leid, dass ich die letzten Male am Telefon so kurz angebunden war. Aber ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen. Und das geht nicht, wenn meine spießige Vermieterin immerzu große Ohren macht.
Ich glaube, was ich dir zu schreiben habe, wirst du nicht mögen. Obwohl du es sicherlich schon ahnst.
Zum ersten Mal seit anderthalb Jahren bin ich von dir getrennt, auch wenn es erst etwas über zwei Wochen sind. Und es kommt mir vor wie mit diesen Bildern, von denen man einen Schritt zurücktreten muss, um zu erkennen, was drauf ist. So hat das mein Vater mal beschrieben. Das Bild, was ich sehe, gefällt mir nicht. Ich glaube, unsere Vorstellungen vom Leben gehen weiter auseinander, als ich dachte.
Ich denke über uns nach, frage mich, wie es weitergeht, aber da ist nur noch Leere. Ich hatte gehofft, du würdest es merken. Neulich, als du angerufen hast. Dass gar nichts mehr stimmt. Ich dachte, du würdest fragen, damit ich nicht den ersten Schritt machen muss. Es tut mir leid, aber ich traue mich nicht, es dir am Telefon zu sagen.
Aber du merkst sowieso nicht, wie ich mich fühle. Vielleicht ist das ein Teil des Problems. Du fandest es immer so schön, dass wir zu zweit schweigen konnten. Ich habe irgendwann nur noch geschwiegen, wenn mir nichts annähernd Vernünftiges mehr eingefallen ist. Und was ich hätte sagen müssen, war zu groß, zu schwer. Die
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