Der Himmel über New York (German Edition)
Aber jetzt gerade … Wir sollten ein anderes Mal weiterreden!«
»Jenny?«
»Ja?«
»Wenn du jetzt auflegst, dann …«
Den Rest bekomme ich nicht mehr mit, denn Leroy zerrt plötzlich an meinem Handy, versucht, meine Finger aufzubiegen, es mir wegzunehmen.
»Was machst du, spinnst du?«
»Wer ist denn dran? Gib mal her!«
Das Handy fällt mit lautem Knall auf den Boden, diesmal mit einem noch lauteren Knall. Leroy bückt sich danach, hebt es auf. »Hallo? Jemand da?« Nichts. Das Gerät ist stumm. Leroy runzelt die Stirn, drückt auf den Tasten herum.
»Shit«, sagt er schließlich achselzuckend, »ich glaube, das ist hin.«
Ich stehe auf, zupfe an meinem Trägerkleid, starre ihn wütend an.
»Sag mal, geht’s dir noch ganz gut? Du kannst mir doch nicht einfach das Ding wegzerren! Das ist meins!«
Leroy hebt beschwichtigend die Hände. Sein Adamsapfel glänzt vor Schweiß.
»Hey, keep cool. Ich kauf dir ’n neues. Mit wem hast du da überhaupt telefoniert?«
»Mit einem Freund.«
»Ein Freund? Einem boyfriend ? Willst du mir das vielleicht mal erklären?«
»Da gibt es nichts zu erklären.«
Leroy atmet schwer, streckt die Arme aus, schließt dann seine Hände um meine Brüste. Ich lasse sie einen Moment lang dort liegen und warte auf ein Gefühl. Es kommt aber keines. Wenigstens kein gutes.
»Es ist ja auch egal«, sagt er leise. »Ich hab den ganzen Morgen an dich gedacht. Beinahe hätte ich einen Unfall gebaut. Komm her.«
Ich nehme seine Handgelenke, entwinde mich, stehe schwerfällig auf. »Jetzt nicht.«
»Wieso, bist du schlecht gelaunt? Ich sag doch, du kriegst ein neues. Mit mobilem Internet. Nicht so ein olles Teil wie deines.«
»Ich will kein Handy. Ich will bloß ein paar Schritte spazieren gehen.«
Er seufzt, lässt sich dann rücklings auf den Futon fallen und streckt Arme und Beine von sich. »Ihr Deutschen mit euren ewigen Spaziergängen!«, stöhnt er theatralisch. »Und ich dachte immer, das ist bloß ein blödes Klischee!«
»Ich bleibe nicht lange weg.«
Aber Leroy antwortet nicht.
15.
I ch achte nicht darauf, wo ich hinlaufe, stolpere immer wieder über die knöchelhohen Bürgersteige, zähle Feuerleitern. Erst als ich bei Nummer 37 angelangt bin, kann ich wieder klar denken. Wahrscheinlich brauche ich mindestens 370 Feuerleitern, um diese Nachricht zu verdauen. Aber es gibt ja genügend davon.
Ich wollte immer nur frei sein. Max wollte mich immer nur glücklich machen. Und jetzt habe ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Menschen so richtig unglücklich gemacht.
Oder nein, es ist gar nicht das allererste Mal. Plötzlich muss ich an meine Eltern denken, wie sie abends am Esstisch sitzen, ohne mich, mein Platz mit dem Kinderset, das da aus sentimentalen Gründen noch immer liegt. Ein gelber Löwe mit eingerissenen Ohren, Hunderte von Malen abgewischt und neu bekleckert.
Aber wenigstens sind sie meine Eltern. Die wussten, dass ich irgendwann gehe. Damit müssen sie leben. Steht so in ihrer Jobbeschreibung. Mit der Liebe, das ist etwas anderes. Oder gibt es einen einzigen sentimentalen Popsong, in dem nicht das Wort forever vorkommt?
Ist das überhaupt möglich: Freiheit, die nicht auf Kosten eines anderen geht?
Sind zwei zu viel, um frei zu sein?
Und wie ist das mit Leroy und mir? Hat Max nicht eigentlich recht mit meinem Freiheitsbedürfnis? Und dann wieder macht es mich auf eine solch wohlige Weise schwach, wenn Leroy mich ansieht und Dinge zu mir sagt, in einem Ton, der keinen Widerspruch erlaubt. Zieh dich aus. Dreh dich um. So. Dann fühle ich mich nicht unfrei. Sondern getragen und gehalten und geführt und begehrt.
Aber was, wenn er diesen Ton am Leib hat und wir nicht innig umarmt im Bett liegen? Vorhin, als er ins Zimmer kam, hat er ja auch nicht anders mit mir gesprochen: Wer ist das? Gib das her.
Wo soll das enden? Werde ich mir am Ende noch vorschreiben lassen, wie ich zu leben habe – so wie Conny?
Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Leroy und ich.
Ich bin zum ersten Mal von ihm enttäuscht, denke ich, und dann denke ich: Genau so muss doch die Liebe anfangen. Dass man sich so lange enttäuscht, bis keine Täuschung mehr da ist, bis man sich wirklich gründlich kennt, und dann gemeinsam loszieht, zusammen und doch frei. Das muss doch gehen. Das kann doch nur ein Anfang sein, nicht ein Ende.
Als ich bei Feuerleiter 68 angekommen bin, kehre ich um. Je näher ich Leroys Wohnung komme, desto schneller werde ich. Die Treppe stürze ich
Weitere Kostenlose Bücher