Der Himmel über New York (German Edition)
im Laufschritt hoch. Nur eines brauche ich jetzt, seine Haut, seine Worte, die Gewissheit, dass nichts uns trennen kann. Und wenn er dann noch einmal nach Max fragt, kann ich ihm die Wahrheit sagen.
Wenigstens eines habe ich erreicht. Max ist offiziell mein Exfreund.
In der Diele riecht es nach Deospray, Leroys Zimmertür ist angelehnt. Ich weiß, er wird mich im Bett erwarten, die Rollos zur Hälfte heruntergezogen, sodass das Sonnenlicht ein Streifenmuster auf seinen Bauch zeichnet. Ich habe die Wohnungstür vorsichtig und leise geöffnet, ich werde ihn überraschen. Aber ich werde mich nicht sofort zu ihm legen, das nicht. Er soll nicht meinen, dass ich ihm alles durchgehen lasse, nur weil er diese schöne, aufregende Dämmerung ins Zimmer gelassen hat. Nur weil seine Stimme klingt wie schwerer Honig, wenn er meinen Namen sagt.
Wenn er mich will, muss er mich bitten.
Aber sicher nicht lange.
Vorsichtig gebe ich der Tür einen Schubs. Leroys Zimmer ist hell und leer.
Die Decke ist glatt gestrichen. So glatt, dass ich nicht einmal gegen jede Vernunft nachschaue, ob er nicht doch im Bett liegt, sich versteckt, auf mich wartet.
Auch die Küche ist leer, in der Wohnung ist es still bis auf das Ticken einer Küchenuhr. Dann höre ich die Stimmen. Sie kommen aus der Galerie. Ich kann nicht hören, was sie sagen, aber es sind ein Mann und eine Frau.
»Du stellst dich an, als hättest du noch nie eine Freundin gehabt«, höre ich Lydia sagen.
»Wieso, ich habe doch wohl ein Recht darauf, zu erfahren, mit wem sie da redet! Lydia, manchmal glaube ich, ich weiß nichts von ihr, gar nichts! Sie fällt einfach vom Himmel in mein Leben und ich weiß nicht einmal, wer ihre Eltern sind, wer ihr nahesteht, an wen sie denkt, wenn ich nicht bei ihr bin!«
»Mann, Leroy, dreh doch mal die Geschwindigkeit runter! Wie lange kennst du die Frau, zwei Wochen? Dann lass dir doch Zeit! Ist das eine Liebesgeschichte, die ihr zwei da habt, oder ist das so eine Art Kreuzverhör?«
Leroy lacht, ich weiß genau, wie er jetzt seinen Kopf zurückwirft, wie seine verfilzten Haare dabei in der Kuhle zwischen den Schulterblättern hin und her pendeln. Aber als er wieder zu reden anfängt, ist seine Stimme ernst.
»Ich weiß, ihr glaubt alle, ich verbeiße mich da zu sehr in etwas. Aber seit der Sache mit Rick – ich habe einfach begriffen, wie kostbar das Leben ist. Auch wenn’s vielleicht pathetisch klingt. Ich will nichts mehr versäumen, was gut und wichtig und groß sein könnte.«
Lydia lässt nicht locker. »Das verstehe ich ja, aber vertraust du ihr denn nicht? Hast du einen Grund dazu? Glaubst du, in ihrem hübschen europäischen Köpfchen spuken noch andere Männer herum?«
»Es wäre mir ja egal«, sagt Leroy nach einer Pause, »wenn das so eine Art Urlaubsliebe wäre. Oder wenn sie eines von diesen Groupies wäre, die sich in der Poets’ Bar immer um die Sieger herumdrücken. Aber mit Jenny ist das anders. Hast du gesehen, wie sie mich anschaut, wenn ich auf der Bühne stehe? Verdammt, Lydia, ich hatte noch nie das Gefühl, dass eine Frau so an mich glauben, so an meiner Seite stehen könnte. Ich könnte mir sogar vorstellen …«
Das Geräusch ist so laut, als sei in der Wohnung eine Bombe hochgegangen. Mit dem linken Fuß bin ich auf ein loses Dielenbrett getreten. Jetzt hilft nur noch die Flucht nach vorn.
»Leroy!«, rufe ich. »Bist du zu Hause?« Dabei mache ich winzige, aber möglichst laute Schritte bis zur Tür der Galerie, als wäre ich gerade nach Hause gekommen und müsste noch den ganzen Flur durchqueren.
Die Tür fliegt auf. Du hast nichts gehört, ermahne ich mich, du hast keinen Grund, gerührt zu sein, im Gegenteil, du hast immer noch ein Recht, wütend zu sein. Aber mein Gesicht gehorcht mir nicht, meine Arme breiten sich aus wie von allein. Sein T-Shirt riecht frisch gewaschen, als er meinen Kopf an seine Brust drückt.
»Da bist du ja wieder.«
»Klar, was soll ich denn so lange ohne dich?«
»Ich hab dich vermisst.«
»Leroy, was ich dich schon lange fragen wollte …«
»Ja?«
»Wer ist denn eigentlich Rick?«
16.
E s ist komisch, aber wenn ich an Rick denke, fallen mir immer als Erstes seine Sneakers an. Skaterschuhe mit einem grünen Blinklicht hinten dran.«
Ein regenbogenfarbener Fleck wandert langsam über die ausgetretenen Dielen in Leroys Zimmer, Sonnenstrahlen, die sich in einem kleinen Spiegel neben der Tür brechen und auf dem Boden ein Muster bilden. Wir sitzen nebeneinander
Weitere Kostenlose Bücher