Der Himmel über New York (German Edition)
Bordsteinkante ab und tritt in die Pedale. Seine Locken fliegen im Fahrtwind. Er verfolgt uns. Ich kann sehen, wie seine Lippen Worte formen, aber ich kann ihn nicht verstehen.
»Bitte, halten Sie an. Mein Freund will mir noch etwas sagen.«
»Aber, Miss. Viel anderer Verkehr, schlecht hier.«
»Bitte!«
Der Fahrer blinkt und bremst. Autos hupen. Er drückt den elektrischen Fensterheber. Die Trennwand zwischen Leroy und mir fährt nach unten. Sein verschwitztes Gesicht ist ganz nah.
»Ich wollte dir noch was geben!« In seiner Handfläche liegt ein länglicher blaugrüner Gegenstand. Eine winzige Freiheitsstatue aus Speckstein.
»Seit Tagen habe ich versucht, ein Gedicht für dich zu schreiben, eins, das dir gerecht wird. Es war, als hätte ich plötzlich keine Worte mehr. Bis ich dann zufällig an einem Souvenirladen vorbeigekommen bin, wo die Lady hier in der Ablage stand. Ich hab mich etwas erschrocken, weil ich dachte, das bist ja du.«
Unsere Finger berühren sich, als er sie mir in die Hand legt. Ich ziehe seinen Kopf zu mir heran.
»Miss! Viel spät!«, drängelt der Taxifahrer.
Unsere Lippen berühren sich so zart, als wären sie zerbrechlich, als könnten sie bei jeder harten Berührung kaputtgehen.
»See you« , sage ich.
»You say it like you mean it« , sagt er. – Du sagst das, als meintest du es ernst.
Der Fahrer dreht sich um, trommelt auf dem Kunstlederbezug seiner Kopfstütze. »Miss, jetzt schnell zum Airport!«
»Ja. Aber fahren Sie bitte auf dem Weg noch am Battery Park vorbei.«
»Ist aber ganz im Süden! Normalerweise ich fahre Queens, Midtown, dann New Jersey!«
»Ich weiß. Ist aber wichtig.«
Der Kies knirscht unter meinen Füßen, als ich zur Kaimauer laufe. Zwei Obdachlose schlafen im taufeuchten Gras, die Köpfe auf ihre Jacken gebettet. Der eine hält eine Plastiktüte mit seiner Habe im Arm. I love New York ist in großen schwarzen Buchstaben daraufgedruckt.
Die Fähren liegen am Hafen vertäut wie schlafende Meeressäuger. Auf dem Geländer sitzen zwei Möwen. Als ich mich an die Brüstung lehne, fliegen sie mit wütendem Gezeter auf. Die Brandung rollt in gleichmäßigen Wellen an Land, als würde das Meer entspannt ein und aus atmen. Von fern ertönt die Sirene der Staten-Island-Fähre, die Pendler nach Manhattan zur Arbeit bringt.
Die Freiheitsstatue trägt einen Schleier aus Morgennebel. Ihre Fackel ist im Dunst kaum zu erkennen. Es sieht aus, als winkte sie mir zum Abschied zu. Ich hebe meine Hand und winke zurück, bis ein Schmerz meinen Arm vom Zeigefinger bis zur Schulter durchzieht.
Deutschland ist so groß wie mein Daumen. Unter mir schlängelt sich ein Fluss, wird breiter, ergibt sich dem Meer. Vielleicht ist es Illinois, vielleicht Kanada, das wir gerade überfliegen.
Time at destination: 5 p.m.
Jetzt werden die ersten Feierabendbiere im Kastaniengarten auf dem Schlossberg ausgeschenkt. Vielleicht ist mein Vater mit Kollegen dabei, hat sein kariertes Jackett neben sich auf die Bank gelegt.
Am Baggersee rollen Studenten ihre Isomatten zusammen, klemmen sie auf schwarz lackierten Fahrrädern fest und fahren zu einer Abendvorlesung in die Uni. Im Wintersemester werden sie einer älteren Frau mit einer Vorliebe für grellbunte Halstücher auf den Linoleumgängen begegnen. Meiner Mutter.
Wer weiß, wo ich bis dahin bin. Hier. Dort. Oder ganz woanders.
Es gibt viel zu viel, das Leroy und ich nicht voneinander wissen. Es ist ein schöner Gedanke: zurückkehren. Die Stadt mit unseren Gefühlen möblieren, nachsehen, was wir auf unseren Dachböden finden. Vielleicht sind zerbrochene Gegenstände dabei, Scherben, die schneiden können, wenn man sie nicht mit Samthandschuhen anfasst. Vielleicht auch nur noch mehr von diesen Puzzleteilen, die nicht zusammenpassen. Vielleicht aber auch verborgene Schätze.
»Miss?«
Ich öffne die Augen. Die Flugbegleiterin hält zwei flache Aluminiumpäckchen in den Händen.
»Would you like chicken or pasta?«
23.
Wenn du mich willst
Trag Backstein und nichts drunter
Dann schmücke dich mit Feuerleitern
Blas mir heiße Atemluft
Aus Hunderten von Gitterrachen ins Gesicht
Du riechst nach Kaffee, Kohlenmonoxid
Nach Mensch und Müll und Muffins
Wenn du mich willst
Dann weck mich morgens
Mit zirpenden Zikaden aus dem Untergrund
Dann weck mich nachmittags
Mit schläfrig singenden Sirenen
Dann weck mich mitten in der Nacht
Mit Eisenstiefeln auf Beton
Wenn du mich willst
Dann lass mich los und schenke mich dem
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