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Der Himmel über New York (German Edition)

Der Himmel über New York (German Edition)

Titel: Der Himmel über New York (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Carl
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Wind
    Und wenn ich leicht wie eine leere Plastiktüte
    Lautlos durch deinen leisen Himmel gleite
    Dann frag mich
    »Would you like to dance?«

    Langsam lasse ich das Mikro sinken und blinzle gegen das Scheinwerferlicht an. Es ist schwer, hier von der Bühne aus etwas zu erkennen. In der ersten Reihe Paula, die mir zwei hochgereckte Daumen entgegenstreckt, freundliche Gesichter rechts und links, dahinter die Menge, die sich im Dunkeln verliert. Haben sie gemocht, was sie gehört haben?
    Unberechenbar sind sie, die Gäste hier im Café Zeitlos, ganz anders als das Publikum in der Poets’ Bar. Keine Zwischenrufe, kein Applaus für gelungene Verse, und wenn ihnen etwas nicht gefällt, gibt es nicht acht Komma fünf Punkte, sondern null.
    Dass du dich das traust!, hat Paula gesagt, sie würde das niemals schaffen, so auf der Bühne, vor allen Leuten, und dann noch mit Bewertung.
    Aber ich habe keine Angst gehabt. Nun ja, wenigstens fast keine. Seit New York hat sich mein Maßstab verändert. Noch immer ist alles in mir größer, weiter geöffnet, die Strecke zwischen Glück und Unglück vervielfacht. Was ist da schon eine kleine Mutprobe wie diese, dieser Sonntagabend-Poetry-Slam in einer Studentenkneipe?
    Langsam setzt jetzt der Applaus ein, erst zögernd, dann ist es, als würden sich die Leute gegenseitig befeuern. Aus dem dunklen Bühnenhintergrund tritt der Moderator hervor, ganz in Schwarz bis auf den leuchtenden »Star Wars«-Schriftzug quer über seinem Shirt, und nimmt mir das Mikro ab.
    »Das war Jacky«, ruft er in den Lärm hinein, »und das war ihr erster Slam-Auftritt, gebt ihr eine Runde Extra-Respekt.«
    »Ich heiße nicht Jacky«, sage ich. Aber er sieht mich schon nicht mehr an.

    Später, in der Pause, lehnt er an der Bar und sieht mich aufmunternd an.
    »War echt cool, diese New-York-Nummer!«, sagt er. »Kein Wunder, dass du führst.«
    Er zeigt auf ein großes Flipchart, das seitlich auf der Bühne steht und auf dem die Punkte für die Teilnehmer zusammengezählt werden. 45 Punkte, das ist für eine Anfängerin nicht so übel. Überhaupt nicht übel.
    Trotzdem mache ich mir keine Illusionen. Nach allem, was ich gehört habe, wird der amtierende Slam-Champion erst nach der Pause erwartet. Und der könnte, so heißt es, auf der Bühne auch das Telefonbuch vorlesen und trotzdem gewinnen.
    »Ich heiße übrigens gar nicht Jacky.«
    »Ja, sorry, tut mir leid. Kann man in dem Licht immer so schlecht lesen, die Namen auf der Liste.«
    »Macht ja nichts.«
    »Dein Gesicht kommt mir aber trotzdem irgendwie bekannt vor«, sagt er, »bist du nicht auch im Einführungsseminar Neue Deutsche Literatur, am Dienstagnachmittag?«
    »Ich studiere gar nicht Germanistik«, sage ich.
    »Sondern?«
    »Jura.«
    »Jura?« Er prustet in sein Glas. »Ist ja nicht zu fassen. Hey, ich glaube, ich hatte noch nie eine Juristin auf der Bühne. Wie passt denn das zusammen, so ein knochentrockenes Fach und dann dieser Auftritt?«
    »Muss denn immer alles zusammenpassen?«
    »Ich weiß nicht, es klingt für mich … also, sorry, ich will dir ja nicht zu nahetreten, aber, als könntest du dich nicht so ganz entscheiden, was du willst.«
    »Du trittst mir nicht zu nahe. Stimmt schon. Aber ich weiß eigentlich ganz gut, was ich will.«
    »Nämlich?«
    »Alles auf einmal.«
    Der Schwarzgekleidete hebt sein Glas. »Willst du auch was trinken?«
    »Ach, danke. Später vielleicht.«
    »Was ich nicht so ganz verstanden habe: Wie war das eigentlich gemeint, das vorletzte Gedicht? Das mit dem Jungen und den grünen Blitzen im Dunkeln? Es klang irgendwie so brutal. Aber gleichzeitig so schön.«
    »Ja, nicht? Das soll es auch.«
    »Sag mal, weil wir gerade so nett plaudern: Weißt du zufällig gerade von einem WG-Zimmer, das frei wird? Ich bin auf der Suche. Aber nicht mehr als 300 pro Monat.«
    »Das kann schon sein. Mein eigenes.«
    »Warum willst du ausziehen?«
    »Nicht richtig ausziehen. Aber während der Semesterferien untervermieten. Ich möchte … ich muss dringend nach New York.«
    »Du musst nach New York? Hört sich nach einem Luxusproblem an«, feixt Mr Star Wars.
    »Nein. Gar nicht. Aber es gibt dort etwas, das ich angefangen habe. Und das ich zu Ende bringen muss. So oder so.«
    Er blickt auf die Uhr. »Ich muss jetzt langsam wieder da hoch, auf die Bühne, sonst rennen mir die Leute weg. Aber weißt du was, Jacky?«
    »Jenny.«
    »Jenny. Wir ziehen nachher noch alle zusammen weiter, auf einen Absacker. Die anderen und ich.

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