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Der hinkende Rhythmus

Der hinkende Rhythmus

Titel: Der hinkende Rhythmus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaye Boralıoğlu
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haben ein paar Tage in Ohnmacht gelegen. Sie sind mehrmals operiert worden. Es waren schwere Operationen, aber ihr Zustand bessert sich sehr schnell. Es gibt keinen Grund zur Sorge. Verstehen Sie mich?«
    Was war das nun für eine Frage? Verstehen! Halil verstand rein gar nichts. Er wusste nur, dass er starke Schmerzen hatte. Das hier sollte doch ein Krankenhaus sein und diese Frau wahrscheinlich eine Ärztin, aber warum linderte sie dann seine Schmerzen nicht? Warum war er immer in Dunkelheit gehüllt? Doch er fürchtete sich vor den Antworten auf diese Fragen. Vielleicht verspürte er zum ersten Mal in seinem Leben eine solche Angst, die seinen Verstand und sein Herz gefangennahm und ihn von Kopf bis Fuß einhüllte.
    »Mutter«, sagte er, »meine Mutter …«
    »Sollen wir Ihre Mutter benachrichtigen?«, fragte die Frau. »Gut, keine Sorge, das machen wir.«
    Dann entfernten sich die Absatzlaute klick klack klick klack. Halil wollte nicht, dass sie ging, er wollte nicht allein bleiben, er wollte erfahren, was geschehen war … aber er hatte keine Kraft mehr, etwas zu sagen.
    Danach ging es Halil Tag für Tag spürbar besser. Sein Körper kam, auch dank der Medikamente, zu Kräften, die Schmerzen ließen allmählich nach und die Perioden der Klarheit, die des vollen Bewusstseins, wurden jeden Tag länger. Halil stellte keine Fragen, schlug nicht um sich, sondern versuchte, alles, was man von ihm verlangte – soweit er es verstehen konnte – zu erfüllen. Schließlich kam die Frau mit dem Blumenduft wieder und setzte sich ihm gegenüber:
    »Halil Bey, nun ist die Zeit gekommen, dass wir gewisse Dinge besprechen. Sie können mich hören, nicht wahr?«
    »Ja, ich höre Sie. Aber ich kann Sie nicht sehen.«
    »Dazu kommen wir später. Nun, als Erstes möchte ich mich vorstellen. Ich bin Ärztin, heiße Müge Turhan. Ihre Operationen habe ich nicht durchgeführt, aber für die Nachbehandlung bin ich zuständig.«
    »Operation?«
    »Ja. Sie hatten ja einen Unfall, deswegen.«
    »Unfall? Was für ein Unfall?«
    »Ein Autounfall. Ich habe es Ihnen schon gesagt. Können Sie sich nicht mehr erinnern?«
    »Sie haben es nicht gesagt.«
    Die Ärztin verzog ihr Gesicht. Es hatte ihr nicht gefallen, was sie da gerade gehört hatte. Sie machte ein paar Notizen in die Akte. Bemüht, weiterhin ruhig zu klingen, nahm sie das Gespräch in einem fürsorglicheren Ton wieder auf.
    »Halil Bey, können Sie bitte Ihren Vor- und Nachnamen nennen?«
    »Halil Mavioğlu.»
    »Die Namen Ihrer Mutter und Ihres Vaters?«
    »Nesrin. Und mein Vater heißt Ihsan.«
    Die Ärztin notierte es. Halils klare Antwort machte ihr Hoffnung.
    »Was arbeiten Sie, Halil Bey?«
    »Arbeit? Arbeiten? …«
    Diese Frage verunsicherte Halil. Was arbeitete er wohl? Er erinnerte sich an einen Hammer, dann an einen Schraubenschlüssel, für einen Moment sah er sich in Anzug, dann sah er einen Mann in mittlerem Alter, mit strengem Blick. Danach kam ein Wind auf und wehte alle Erscheinungen fort. Halil empfand wieder die gleiche gewaltige Angst. Das bemerkte auch Müge.
    »Es gibt keinen Grund zur Sorge. Das kommt vor. Machen Sie sich keine Gedanken darüber.« Sie begann aufs Neue, alles geduldig zu erklären.
    »Sie haben einen Unfall gehabt, Halil Bey, einen ziemlich schlimmen Verkehrsunfall. Sie saßen am Steuer eines Jeeps und Sie sind in eine Baugrube gestürzt. Sie sind schwerverletzt bei uns eingeliefert worden. Sie hatten mehrere Knochenbrüche, die Nieren waren ernsthaft zerstört. Wir haben Sie operiert. Jetzt geht es Ihnen gut. Alles ist unter Kontrolle. Physisch, meine ich! Aber es gibt etwas, das wir als posttraumatisches Belastungssyndrom bezeichnen. Bei manchen Patienten kommt es vor, dass nach einem Unfall das Gedächtniszentrum seine Funktion vorübergehend nicht erfüllt. Aber machen Sie sich keine Sorgen, das wird nicht dauerhaft sein. Das heißt … wir hoffen es.«
    »Was ist mit meinen Nieren passiert?«
    »Eine mussten wir entfernen, Halil Bey. Aber es gibt viele Menschen, die mit einer Niere in voller Gesundheit weiterleben.«
    »Warum ist es immer dunkel? Was ist mit meinen Augen passiert?«
    Die Ärztin holte tief Luft. Jetzt wurde es schwierig. Sie zögerte für einen Moment. Sie könnte diese Frage umgehen, könnte sie vertagen. Warten, bis Halil sich besser fühlt …
    »Bin ich erblindet?«
    »Das wissen wir noch nicht genau.«
    .......
    »Bei der Untersuchung, das heißt, bei der Unfallaufnahme, hat die Polizei Kalkstaub auf Ihrer

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