Der Hinterhalt
seine neue Freundin, die ich in Zukunft hoffentlich öfter sehen werde.« Wir stießen mit unseren Weingläsern an. »Möchtest du noch etwas hinzufügen, Joey?« Meine Mutter sah mich an. Ich hatte keine Ahnung, was sie von mir hören wollte.
»Auf dass wir nie alleine trinken müssen«, fügte ich hinzu, ohne mich erinnern zu können, wo ich diesen Toast schon einmal gehört hatte.
»Sehr stilvoll«, schimpfte mich meine Mutter, aber wir stießen nochmals mit unseren Gläsern an. Meine Mutter und ich hoben beide unser Glas an die Lippen. Du stelltest deines wieder auf den Tisch. Meine Mutter bemerkte das. Ihr entging nichts. »Trinkst du nichts, Kleines?«
»Ich hab’s nicht so mit Alkohol, Joan.«
»Na ja, nur einen kleinen Schluck, Liebes. Es ist kein echter Toast, wenn du gar nichts trinkst«, drängte meine Mutter. Sie beobachtete dich aufmerksam.
»Das gilt nur für Geburtstagswünsche und Glückskekse, Mom«, schaltete ich mich ein und gab meiner Mutter mit einem Blick zu verstehen, dass sie das Thema fallen lassen solle. »Wir hatten einen langen Tag. Lasst uns essen.« Ich verteilte gleich große Portionen Spaghetti auf unsere Teller. Meine Mutter aß ihre nicht auf. Ich nahm mir einen Nachschlag. Du verschlangst eine dritte Portion. Ich war beeindruckt, wie viel du bereits essen konntest.
Beim Abendessen unterhielten wir uns. Meine Mutter wollte wissen, wie lange wir vorhatten zu bleiben. Darüber hatten wir beide bislang noch nicht gesprochen. Ich sagte ihr, dass wir für zwei Nächte bleiben wollten. Das hörte sich genau richtig an. Ich wollte dir in der Stadt ein paar Dinge zeigen, bevor wir weiterfuhren. Zwei Tage waren meiner Ansicht nach nicht zu lang. Uns blieben anschließend immer noch zehn Tage, um uns aus dem Staub zu machen. Dann fragte meine Mutter, wo wir Urlaub machen wollten. Auch auf die Frage wusste ich keine Antwort. Du sahst mich an, als hättest du dich das ebenfalls gefragt. Selbst wenn ich gewusst hätte, wohin wir fahren wollten, hätte ich es meiner Mutter nicht gesagt. Ich hätte es niemandem gesagt. Je weniger Leute Bescheid wussten, desto besser. »Irgendwo im Süden«, sagte ich. »Vielleicht statten wir Graceland einen Besuch ab.« Du schienst von dieser Idee fasziniert zu sein.
»Aber wehr dich dagegen, wenn er mit dir in irgendwelchen billigen Hotels absteigen will, Liebes«, sagte meine Mutter zu dir, beugte sich über den Tisch und legte ihre Hand auf deine. »Irgendwann muss er lernen, was Stil ist.«
»Ja, Ma‘am«, erwidertest du kichernd. Ich hoffte, du würdest dich daran erinnern, dass dies kein Urlaub war – dass wir größte Sorgfalt walten lassen mussten. Vorerst sagte ich jedoch nichts.
Als wir mit dem Essen fertig waren, halfst du meiner Mutter, den Tisch abzuräumen. Da ich gekocht hatte, bestandet ihr darauf, dass ich mich erholen solle. Nachdem die Küche wieder auf Vordermann gebracht war, sagtest du, dass du müde seist und ins Bett gehen wolltest. Meine Mutter brachte dich ins ehemalige Zimmer meiner Schwester, in dem sie seit deren Tod nichts mehr angerührt hatte. Im Bücherregal standen noch immer gerahmte Fotos von ihr und ihren Schulfreunden. Ein paar Aufnahmen von ihr mit Freunden von der Uni waren mit Reißnägeln an der Wand über ihrem Schreibtisch befestigt. Ihre Französisch-Auszeichnung aus der Highschool war noch gut sichtbar aufgehängt, als habe sie sie erst gestern gewonnen. Ich trug deine Tasche die Treppe hinauf und stellte sie im Zimmer ab. »Dann bin ich also heute Nacht allein hier drin, oder?«, fragtest du mich, als du deine fast leere Reisetasche ans Fußende des Bettes stelltest.
»Ich denke schon. Meine Mom ist ein bisschen altmodisch«, entgegnete ich. »Ist das okay für dich?«
»Ja, kein Problem. Es ist so friedlich hier.« Du stelltest dich auf die Zehenspitzen, um mich kurz auf den Mund zu küssen. »Deine Mutter ist echt nett.«
»Ja, zu dir schon«, scherzte ich. »Du gehst ins Bett, und ich muss die Inquisition alleine über mich ergehen lassen.«
»Dann bleiben wir also zwei Tage hier?«
»Ja, das scheint mir angemessen.«
»Und dann statten wir Graceland einen Besuch ab?«
»Mal sehen.«
Als ich wieder nach unten ging, wartete meine Mutter bereits auf meine Rückkehr.
»Sie ist reizend«, sagte meine Mutter zu mir, noch bevor ich die Treppe ganz hinuntergegangen war.
»Wenn du wüsstest«, erwiderte ich mit einem Grinsen. Ich war wieder ein kleiner Junge, der seiner Mutter den Schatz zeigte, den
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