Der Hintermann
eigenen Umfeld zu verraten – für Geld, aus Boshaftigkeit, um sich Respekt zu sichern oder aus einem Dutzend weiterer Gründe, die ich nennen könnte. Und es gibt andere Menschen, für die das eine zutiefst traumatische Erfahrung ist, unter der sie oft noch jahrelang leiden.«
»Ich betrachte Dschihadisten nicht als Angehörige meines Umfelds oder Glaubens, genau wie sie mich bestimmt nicht zu den ihren zählen. Haben Sie mein Geld nicht außerdem schon dazu benutzt, über hundert mutmaßliche Terroristen aufzuspüren und zu verhaften?« Nadia machte eine Pause, dann fügte sie hinzu: »Sie müssen entschuldigen, Mr. Allon, aber ich habe das Gefühl, dass Sie versuchen, hier einen Unterschied zu konstruieren.«
Gabriel beugte sich leicht nach vorn, um den Abstand zwischen sich und seiner Agentin zu verringern. Er wollte keine Missverständnisse, keine Mehrdeutigkeiten, keine unterschiedlichen Auslegungen.
»Ist Ihnen klar, was diesen Mann erwartet, wenn er sich als der herausstellt, den wir suchen?«
»Eine derartige Frage sollten Sie mir nicht stellen müssen, glaube ich.«
»Werden Sie mit der Erinnerung daran leben können?«
»Das tue ich bereits.« Sie rang sich ein Lächeln ab. »Außerdem dauert nichts ewig, wie Sie wissen, Mr. Allon.«
Gabriel lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und betrachtete einen Augenblick lang seine Hände. Diesmal verzichtete er darauf, ratsuchend zu Schamron hinüberzusehen. Diese Entscheidung hatte allein er zu treffen.
»Wir werden Zeit brauchen, um Sie auf das Treffen vorzubereiten.«
Nadia al-Bakari zog ihren Terminplaner aus der Handtasche und schlug ihn auf. »Ich bin morgen und übermorgen in Moskau und dann einen Tag in Stockholm.«
»Wie sieht Ihr Wochenende aus?«
»Das wollte ich in Casablanca verbringen, um etwas Sonne zu tanken.«
»Vielleicht werden wir Sie bitten müssen, diesen Trip zu verschieben.«
»Das muss ich mir noch überlegen«, sagte sie störrisch. »Aber heute Nachmittag bin ich zufällig frei.«
Gabriel ließ sich von Uzi Navot eine Mappe geben. Sie enthielt das letzte bekannte Foto von Malik al-Zubair und eine ganze Serie von am Computer erstellten Phantombildern. Gabriel legte sie langsam vor Nadia auf dem Konferenztisch aus.
»Dies könnte der Mann sein, der sich am kommenden Donnerstagabend im Hotel Burj al Arab in Dubai mit Ihnen treffen will«, sagte er, indem er auf das grobkörnige alte Foto deutete. Sein Zeigefinger tippte ein Phantombild nach dem anderen an. »Hier ist er zehn Kilo schwerer. Dies ist er mit einem Vollbart. Mit einem Schnauzer. Mit einer Gebetsnarbe in der Stirnmitte. Mit einem Scheitelkäppchen. Mit einer Kafija . Mit Brille. Mit kurzen Haaren. Mit langen Haaren. Grauhaarig. Glatzköpfig …«
53
T HE C ITY , L ONDON
Obwohl das Londoner Financial Journal seit seiner Übernahme durch den russischen Oligarchen Wiktor Orlow viel von seinem Glanz eingebüßt hatte, erregte es am folgenden Morgen Aufsehen in der City, als es meldete, die hiesige Firma Rogers & Cressey plane ein großes Immobilienprojekt in Dubai. Bedeutsamer wurde die Story, als Zoe Reed von CNBC berichtete, an dem Projekt beteiligt sei auch die AAB Holding, die Investmentgesellschaft der medienscheuen saudi-arabischen Milliardärin Nadia al-Bakari. Als Yvette Dubois, die meist unterbeschäftigte Sprecherin von AAB, in Paris erreicht und um einen Kommentar gebeten wurde, antwortete sie mit einem wachsweichen Dementi, doch an diesem Abend brannte in London bei R&C bis tief in die Nacht hinein Licht. Langjährige Beobachter der Firma überraschte das nicht: R&C, sagten sie, habe schon immer am liebsten im nächtlichen Dunkel gearbeitet.
Hätten sie Zugang zu den schalldichten Konferenzräumen und den abhörsicheren Telefonen von R&C gehabt, hätten sie eine Sprache gehört, die wenig mit dem in der Geschäftswelt üblichen Jargon gemeinsam hatte. Ihre Etymologie ließe sich auf die Olympischen Spiele 1972 in München und den darauf folgenden geheimen Rachefeldzug zurückführen. Seit damals hatte die Welt sich sehr verändert, aber die durch eine Serie von Attentaten bekräftigten Prinzipien blieben unangetastet. Aleph , Beth , Ajin , Qoph : vier Buchstaben des hebräischen Alphabets. Vier Einsatzregeln, die so zeitlos und beständig waren wie der Mann, der sie festgelegt hatte.
In den meisten Büros von R&C war er als Herr Heller bekannt. Aber sobald er die für Gabriel und sein Team reservierten Räume betrat, hieß er Ari oder der Alte
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