Der Hintermann
hielt, wenn er sich die Tonbandaufnahmen anhörte. Aber spätnachts, wenn die meisten schon zu Bett gegangen waren, verstieß er gegen diese Anordnung, schon um gegen das Gefühl von Klaustrophobie anzukämpfen, das der Klang von Raschids Stimme erzeugte. Dabei sah er unweigerlich Dina, die grübelnd das Puzzle an den Wohnzimmerwänden betrachtete. »Geh schlafen, Dina«, forderte er sie dann auf. Und Dina antwortete jedes Mal: »Ich schlafe, wenn du schläfst.«
Am ersten Freitag im Dezember, als die Straßen von Georgetown von Schneeschauern weiß wurden, hörte Gabriel sich an, wie Raschid al-Husseini zum letzten Mal Anweisungen von seinem CIA-Führungsoffizier erhielt. Das war an dem Abend, bevor er überlief. Er wirkte aufgedrehter als sonst und leicht nervös. Gegen Ende dieses Treffenss nannte er seinem Agentenführer einen Imam in Oslo, den er verdächtigte, Spenden für die Widerstandskämpfer im Irak einzutreiben. »Das sind keine Widerstandskämpfer, das sind Terroristen«, stellte der CIA-Mann nachdrücklich richtig. »Entschuldigen Sie, Bill«, sagte Raschid, der den Decknamen des Offiziers benutzte, »aber mir fällt’s manchmal schwer, mich daran zu erinnern, auf wessen Seite ich stehe.«
Gabriel fuhr seinen Computer herunter und ging ins Wohnzimmer hinüber. Dina stand schweigend vor ihrer Matrix und rieb sich die Stelle am Oberschenkel, die immer wehtat, wenn sie müde war.
»Geh schlafen, Dina«, sagte Gabriel.
»Nicht heute Nacht«, antwortete sie.
»Du hast ihn?«
»Ich glaube schon.«
»Wer ist’s?«
»Malik«, sagte sie leise. »Und Gott sei uns allen gnädig.«
17
G EORGETOWN , W ASHINGTON , D.C.
Es war kurz nach zwei Uhr – eine schreckliche Stunde, wie Schamrons berühmter Ausspruch lautete, in der selten brillante Pläne ausgeheckt werden. Gabriel schlug vor, bis zum Morgen zu warten, aber dafür tickte die Uhr in Dinas Kopf viel zu laut. Sie holte die anderen persönlich aus den Betten und marschierte dann demonstrativ im Wohnzimmer auf und ab, während sie darauf wartete, dass der Kaffee fertig wurde. Als sie endlich sprach, war ihr Tonfall drängend, aber respektvoll. Das hatte der Meisterterrorist Malik verdient.
Sie begann damit, dass sie das Team an Maliks Abstammung erinnerte, die ihn fast zwangsläufig zu seinem Lebensweg geführt hatte. Als Angehöriger des Clans al-Zubair – einer palästinensisch-syrischen Familie aus dem Dorf Abu Gosch westlich von Jerusalem – war er in dem jordanischen Flüchtlingslager Zarqa geboren worden. Selbst nach den bedauerlich niedrig gesteckten Maßstäben solcher Lager war Zarqa ein elendes Loch und eine Brutstätte für islamischen Extremismus. Als intelligenter, aber zielloser junger Mann verbrachte Malik viel Zeit in der al-Falah-Moschee. Dort geriet er in den Bann eines salafistischen Hasspredigers, der ihn zum Eintritt in die Islamische Widerstandsbewegung, besser als Hamas bekannt, veranlasste. Malik trat in die paramilitärischen Quassam-Brigaden ein und erlernte das Terroristenhandwerk bei einigen der besten Meister dieses Fachs. Als geborener Führer und geschickter Organisator stieg er innerhalb der Organisation rasch auf und war bei Beginn der zweiten Intifada der wichtigste Terrorplaner der Hamas. Vom sicheren Lager Zarqa aus organisierte er einige der tödlichsten Anschläge der damaligen Zeit, darunter einen auf einen Nachtclub in Tel Aviv, bei dem dreiunddreißig Menschen starben.
»Nach diesem Anschlag«, sagte Dina, »hat der Ministerpräsident angeordnet, Malik zu liquidieren. Aber Malik hat sich in den Tiefen des Lagers Zarqa verkrochen und seinen bis dahin größten Angriff geplant – einen Anschlag auf die Klagemauer. Zum Glück konnten wir die drei Schahids verhaften, bevor sie ihr Ziel erreichten. Das soll Maliks einziger Misserfolg gewesen sein.«
Im Sommer 2004, berichtete Dina weiter, wurde klar, dass der israelisch-palästinensische Konflikt eine zu kleine Bühne für Malik war. Vom 11. September inspiriert verließ er das Lager und gelangte als verschleierte Frau verkleidet nach Amman, wo er mit einem al-Qaida-Anwerber zusammentraf. Nachdem er den Bajat abgelegt hatte, den persönlichen Treueschwur auf Osama bin Laden, wurde Malik über die Grenze nach Syrien geschmuggelt. Sechs Wochen später wechselte er in den Irak über.
»Malik war weit besser ausgebildet als alle anderen al-Qaida-Angehörigen im Irak«, sagte Dina. »Er hatte seine Fertigkeiten in jahrlangen Kämpfen gegen die erfahrensten
Weitere Kostenlose Bücher