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Der Hintermann

Der Hintermann

Titel: Der Hintermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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buchstäblich in seinen Händen gelegen. Selbst als er tot war, hatte ich noch Angst vor meinem Vater. Und selbst als er tot war, habe ich mir nie erlaubt, so etwas wie Enttäuschung über ihn zu empfinden.«
    »Aber Sie waren doch kaum ein für Ihre Heimat typisches Kind.«
    »Das stimmt«, gab sie zu. »Mein Vater hat mir viel Freiheit gelassen, wenn wir im Westen waren. Aber diese Freiheit hat sich nicht auf Saudi-Arabien oder unser persönliches Verhältnis zueinander erstreckt. Mein Vater war der absolutistische Herrscher über unsere Familie. Und ich wusste genau, was passieren würde, wenn ich jemals über die Stränge schlüge.«
    »Er hat Ihnen gedroht?«
    »Natürlich nicht. Von meinem Vater habe ich niemals ein böses Wort gehört. Das war nie nötig. In Saudi-Arabien kennen Frauen ihren Platz. Nach der ersten Menstruation werden sie hinter schwarzen Schleiern versteckt. Und der Himmel sei ihnen gnädig, wenn sie das Unglück haben, den Mann zu entehren, der über sie herrscht.«
    Sie hatte die Füße vom Sofa genommen und saß jetzt etwas aufrechter, als achte sie bewusst auf ihre Haltung. Der flackernde Feuerschein wischte die ersten Altersspuren von ihrem Gesicht. In diesem Augenblick sah sie wie die selbstbewusste, atemberaubend schöne junge Frau aus, die sie erstmals vor einigen Jahren gesehen hatten, als sie auf dem Mason’s Yard übers Pflaster geschwebt war. Bei dem Unternehmen gegen ihren Vater war Nadia, die erst spät auf der Bildfläche erschienen war, nur eine zusätzliche Erschwernis gewesen. Selbst Gabriel konnte kaum glauben, dass Zizi al-Bakaris verzogene Göre sich in die elegante, kluge Frau verwandelt hatte, die ihm jetzt gegenübersaß.
    »Ehre ist ein höchst wichtiger Punkt für die Psyche des arabischen Mannes«, fuhr sie fort. »Ehre ist alles. Das ist eine Lektion, die ich mit knapp achtzehn Jahren auf sehr schmerzvolle Weise gelernt habe. Eine meiner besten Freundinnen hat Rena geheißen. Sie kam aus einer angesehenen Familie, nicht entfernt so reich wie wir, aber prominent. Rena hatte ein Geheimnis. Sie hatte sich in einen gut aussehenden jungen Ägypter verliebt, den sie in einem Einkaufszentrum in Riad kennengelernt hatte. Die beiden haben sich heimlich in der Wohnung des Mannes getroffen. Ich habe Rena gewarnt, sie spiele ein gefährliches Spiel, aber sie wollte diesen Mann nicht aufgeben. Dann ist das Unvermeidliche passiert: Die islamische Religionspolizei hat die beiden miteinander ertappt. Renas Vater war so beschämt, dass er zu dem einzigen Mittel griff, das sich ihm bot – zumindest seiner Überzeugung nach.«
    »Ein Ehrenmord?«
    Nadia nickte langsam. »Rena wurde mit schweren Ketten gefesselt. Dann wurde sie im Beisein der ganzen Familie in den Swimmingpool ihres Elternhauses geworfen. Ihre Mutter und ihre Schwestern mussten dabei zusehen. Sie sagten nichts. Sie taten nichts. Sie waren machtlos.«
    Nadia verfiel in Schweigen. »Als ich erfahren habe, was geschehen war«, sagte sie schließlich, »war ich empört und entsetzt. Wie konnte ein Vater so barbarisch, so primitiv sein? Wie konnte er sein eigenes Kind ermorden? Aber als ich das meinen Vater gefragt habe, hat er geantwortet, das sei Allahs Wille. Rena habe für ihr schändliches Betragen bestraft werden müssen. Das habe einfach getan werden müssen.« Sie machte eine Pause. »Ich werde nie vergessen, wie mein Vater ausgesehen hat, als er das sagte. Diesen Gesichtsausdruck habe ich nur noch einmal bei ihm gesehen, als er einige Jahre später den Einsturz der Türme des World Trade Centers beobachtete. Eine schreckliche Tragödie, hat er gesagt, aber Allahs Wille. Das habe einfach getan werden müssen.«
    »Haben Sie Ihren Vater jemals verdächtigt, Verbindungen zu Terrororganisationen zu haben?«
    »Natürlich nicht! Meiner Überzeugung nach war Terrorismus das Werk verrückter Gotteskrieger wie Bin Laden und Zawahiri, nicht von Männern wie meinem Vater. Zizi al-Bakari war Geschäftsmann und Kunstsammler, kein Massenmörder. Zumindest habe ich das geglaubt.«
    Ihre Zigarette war fast bis zum Filter heruntergebrannt. Sie drückte sie aus und zündete sich sofort eine neue an.
    »Aber heute, nachdem genügend Zeit verstrichen ist, erkenne ich, dass es einen Zusammenhang zwischen Renas Tod und dem Mord an dreitausend Unschuldigen am 11.   September 2001 gibt. Sie haben einen gemeinsamen Vorfahren – Muhammad Abdul Wahhab. Solange seine Ideologie des Hasses nicht neutralisiert ist, wird es weitere

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