Der Hintermann
Treville zurück, um die letzten Details des Unternehmens zu planen, wozu die heikle Frage gehörte, wie eine in Paris lebende saudi-arabische Unternehmerin eine Terrororganisation finanzieren sollte, ohne das Misstrauen der französischen und weiterer europäischer Finanzbehörden zu wecken. Andererseits hatte Nadia ihnen mit verdeckten Zahlungen an die arabische Reformbewegung schon einen Weg gewiesen.
Gabriel brauchte jetzt nur noch ein Gemälde und einen willigen Komplizen. Was erklärte, weshalb er an Heiligabend, als ganz Frankreich sich darauf vorbereitete, zwei Tage lang opulent zu feiern, Lavon bat, ihn zum Gare du Nord zu fahren. Gabriel hatte eine Fahrkarte für den Eurostar um 13.13 Uhr nach London und rasende Kopfschmerzen wegen Schlafmangels. Lavon war in diesem Stadium ihres Unternehmens skeptischer als sonst. Da er unverheiratet und kinderlos war, deprimierten ihn diese großen Familienfeste.
»Du willst diese Sache also tatsächlich durchziehen?«
»An Heiligabend mit dem Zug nach London fahren? Wenn du mich fragst, würde ich lieber laufen.«
»Ich habe von Nadia gesprochen.«
»Ich weiß, Eli.«
Lavon starrte nach vorn durch die Frontscheibe, beobachtete die zum Bahnhofseingang strömenden Massen. Das übliche bunte Gemisch: Geschäftsleute, Studenten, Touristen, afrikanische Einwanderer, Hausfrauen und Taschendiebe, alle von schwer bewaffneten französischen Polizeibeamten überwacht. Das ganze Land wartete darauf, dass der nächste Sprengsatz detonieren würde. Darauf wartete ganz Europa.
»Erfahre ich jemals, was sie dir neulich bei eurem Spaziergang im Park erzählt hat?«
»Nein, leider nicht.«
Diese Antwort hatte Lavon erwartet. Trotzdem konnte er seine Enttäuschung nicht ganz verbergen.
»Wie lange arbeiten wir jetzt schon zusammen?«
»Hundertfünfzig Jahre«, sagte Gabriel. »Und ich habe dir noch nie den kleinsten Schnipsel irgendeiner wichtigen Information vorenthalten.«
»Wieso also jetzt?«
»Sie hat mich darum gebeten.«
»Hast du’s deiner Frau erzählt?«
»Ich erzähle meiner Frau alles, und meine Frau erzählt mir nichts. Das gehört zu unserem Deal.«
»Du kannst dich glücklich schätzen«, sagte Lavon. »Ein Grund mehr, keine Versprechungen zu machen, die du nicht halten kannst.«
»Ich halte immer, was ich verspreche, Eli.«
»Genau das befürchte ich.« Lavon musterte Gabriel prüfend. »Bist du dir ihrer sicher?«
»So sicher wie in Bezug auf dich.«
»Geh«, sagte Lavon nach einer kurzen Pause. »Ich möchte nicht, dass du den Zug verpasst. Und solltest du dort drinnen einen Selbstmordattentäter sehen, tu mir bitte den Gefallen, einfach den nächsten Polizisten auf ihn aufmerksam zu machen. Nichts könnten wir im Augenblick weniger brauchen, als dass du einen weiteren französischen Bahnhof in die Luft jagst.«
Gabriel übergab Lavon seine Beretta, eine 9-mm-Pistole, stieg aus dem Wagen und betrat die Bahnhofshalle. Durch irgendein Wunder fuhr sein Zug pünktlich ab, und gegen halb fünf an diesem Spätnachmittag lief er bereits übers Pflaster von St. James’s. Adrian Carter würde Gabriels Rückkehr nach London, wo alles begonnen hatte, später für sehr symbolisch halten, aber in Wirklichkeit leiteten ihn weniger idealistische Motive. Sein Plan zur Zerschlagung von Raschid al-Husseinis Netzwerk setzte eine kriminelle Fälschung voraus. Und welchen besseren Schauplatz gab es dafür als die Kunstwelt?
34
S T . J AMES ’ S , L ONDON
Gabriels Komplize wusste noch nichts von diesem Plan – kaum überraschend, denn er war kein anderer als Julian Isherwood, Alleininhaber von Isherwood Fine Arts, 7-8 Mason’s Yard. Zu den vielen hundert Gemälden im Lagerbestand von Isherwoods Galerie gehörte Madonna und Kind mit Maria Magdalena , früher dem venezianischen Meister Palma Vecchio zugeschrieben, jetzt unter Vorbehalt niemand anderem als dem großen, mächtigen Tizian. Vorläufig stand das Gemälde, dessen Bildseite mit schützendem Seidenpapier abgedeckt war, in Isherwoods unterirdischem Lager. Der Galerist hasste das Bild inzwischen fast so sehr wie den Mann, der es so entstellt hatte. Tatsächlich war diese unvollendete Restaurierung für Isherwood in seinem ohnmächtigen Zorn ein Symbol für alles, was in seinem Leben schiefgelaufen war.
Aus Isherwoods Sicht war dies ein Herbst gewesen, den man getrost aus dem Leben streichen konnte. Er hatte nur ein einziges Gemälde verkauft – ein unbedeutendes italienisches Marienbild an einen
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