Der Hochzeitsvertrag
sich nur noch mit Mühe beherrschte. Und Joshua wirkte, als würde er mehr vor Erschöpfung denn vor Ärger zittern.
Ihr Bruder war dieser Auseinandersetzung gesundheitlich nicht gewachsen. Und auch sie war nicht auf eine derartige Situation vorbereitet gewesen. Nicholas hätte vorsichtiger sein sollen mit seinen Vorschlägen.
"Wann wollen wir heiraten?" fragte sie daher lustlos. Einen Rückzieher konnte sie immer noch machen.
"Morgen", antwortete Joshua ohne Zögern.
"Sobald dein Vater hierher kommt, um nach Emily zu suchen", verbesserte Nicholas ihn. "Ich bedauere, dass ich niemanden zu ihm schicken kann. Den Grund dafür kennt ihr beide. Morgen oder übermorgen wird er sicher von selbst hier auftauchen, um nach Emily zu fragen."
"Nun gut", stimmte Emily widerwillig zu.
Ihr wurde bewusst, wie unwahrscheinlich wütend sie noch immer auf Nicholas war. Jahrelang hatte sie geglaubt, sie hätte ihm vergeben, sich eingeredet, dass er ihr nichts mehr bedeutete. Aber jetzt, nachdem sie ihn wieder gesehen hatte, wusste sie, dass das nicht stimmte. Jahrelang hatte er sie allein gelassen, sich keinen Deut um ihren Ruf geschert. Dass er den Kuss als Nebensache abtat und den Großmütigen spielte, den liebevoll um ihren Ruf besorgten, edlen Freund, ärgerte sie. Mein Stolz ist verletzt, gestand sie sich ein. Doch würde ihr Stolz nicht noch mehr unter einem Skandal leiden?
Sie freute sich auch nicht darauf, ihrem Vater erklären zu müssen, warum die Hochzeit notwendig war. Nämlich wegen ihres größten Fehlers, ihrer Impulsivität. "Du wirst es ihm erklären müssen", sagte sie zu Nicholas gewandt.
"Das hatte ich ohnehin vor", versicherte er ihr. "Ich werde um deine Hand anhalten, wie es sich schickt."
"Wie es sich schickt", wiederholte sie leise, schüttelte den Kopf über die Ironie, die in dem Ganzen lag, und trat von der Türschwelle in den Gang zurück. Sie wünschte Joshua nicht einmal eine gute Nacht und wartete auch nicht auf Nicholas, als sie ins Herrenhaus zurückging.
Es geschähe beiden Hohlköpfen recht, wenn sie heute Nacht kein Auge zumachen würden, dachte sie. Emily war sich sicher, dass sie nicht würde schlafen können. Was sollte sie nur tun?
"Einen Moment, Emily", rief Nicholas ihr nach. Sie ging unbeirrt weiter. "Ich habe gesagt, du sollst warten!" wiederholte er ärgerlich. "Wir müssen uns unterhalten."
"Worüber?" fragte Emily, ohne anzuhalten.
"Emily, es tut mir Leid, dass sich die Dinge so entwickelt haben. Ich wollte dir nur sagen …"
"Dass du dir wünschtest, ich wäre von hier weggeblieben", unterbrach sie ihn. "Das weiß ich bereits. Ich wünschte mir das auch."
"Nein", protestierte er heftig. "Das meine ich doch gar nicht! Ist dir die Vorstellung, mich zu ehelichen, so widerwärtig? Du hast gesagt, dass es keinen anderen gibt, den du heiraten möchtest."
"Das stimmt", erwiderte sie gleichmütig. "Aber es gibt eine andere Frau, die an eine Zukunft mit dir denkt."
"Mit Dierdre habe ich nichts zu schaffen", hielt Nicholas dagegen. "Es gibt keine gesetzlich bindende Übereinkunft zwischen uns. Selbst wenn Lord Worthing erwartet, dass ich seine Tochter heirate – wen interessiert das?"
"Und was ist mit dem Skandal, der ihren guten Namen beschmutzen wird? Mit dem Skandal, den du verursachst, indem du ein gewöhnliches Mädchen unter merkwürdigen Umständen heiratest?"
Zu ihrer Überraschung lachte er. "Zweifellos wird jeder annehmen, dass wir aus Liebe geheiratet haben."
"Ja, lustig, nicht? Auch wenn wir es natürlich besser wissen", stellte sie fest.
Nicholas blieb stehen, griff nach Emilys Hand und ließ sie selbst dann nicht los, als sie sie ihm entziehen wollte. "Emily, ich weiß, was du mir gegenüber empfindest, aber eine Heirat ist das Beste, was dir passieren kann. Denk nur daran, dass du nicht als Gouvernante arbeiten müsstest, um Joshua und deinen Vater zu ernähren. Du kannst alles von mir haben, was du brauchst. Und außerdem gehe ich auf die dreißig zu, und es wird allmählich Zeit, dass ich heirate. Verstehst du? Wir werden beide von der Ehe profitieren."
Sie konnte nicht glauben, was sie Nicholas sagen hörte, der einst so viel Charme versprüht hatte. "Die Heirat kommt dir also gelegen?" fragte sie mit gepresster Stimme.
Gedankenverloren neigte er den Kopf. "Wenn du es so ausdrücken willst – ja."
Erwartete er jetzt etwa von ihr, dass sie mit einem Lächeln die Arme nach ihm ausstreckte? Dass sie ihren Stolz opferte, vergaß, was er ihr angetan hatte,
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