Der Höllenbote (German Edition)
...
Perfekt. Das ist die beste Gelegenheit der Nacht, fand Martin.
Der Typ ging. Zog seine Klamotten an, gab ihr einen letzten langen Kuss, dann verschwand er. Augenblicke später hörte Martin, wie vor dem Haus ein Wagen angelassen wurde und wegfuhr.
Und jetzt war die Frau ganz allein. Nackt hockte sie auf der Bettkante. Ziemlich durchtrainiert, attestierte Martin. Sie legte sich aufs Bett, Arme und Beine ausgestreckt. Martin saugte den Anblick dieses Körpers in sich auf und überlegte, wie viel besser sie erst aussehen würde, wenn er sie aufgeschlitzt hatte. Dem Boten würde das gefallen, der Bote erwartete es. Einen Moment lang glaubte Martin, dass sie gleich anfing zu masturbieren, so wie sie mit ihren gespreizten Beinen auf dem Bett lag. Es sah aus, als wanderten ihre Hände nach unten ... aber dann rollte sie sich auf die Seite. Yeah, perfekt. Sie legt sich schlafen. Das war großartig, und da war noch etwas, das er eben erst bemerkt hatte – als er zum ersten Mal ihr Gesicht sehen konnte – und das alles noch viel perfekter machte ...
Ich kann es gar nicht glauben! So viel Glück kann man doch gar nicht haben. Vielleicht hatte der Bote selbst seine Hand im Spiel – immerhin hatte er Martin hierhergeführt, nicht wahr? Bestimmt wusste er es. Martin holte das Kampfmesser heraus. Oh, was er mit ihr machen würde ... Jetzt wurde sein Hass von einer unwiderstehlichen Geilheit noch verstärkt. Denn in diesen letzten Minuten, in denen sie auf dem Rücken gelegen hatte, hatte Martin das Gesicht der Frau klar und deutlich erkannt.
Jane Ryan.
Martin spannte die Muskeln an ...
»Hey, du Spanner!«, explodierte hinter ihm eine Stimme wie ein Pistolenschuss.
Fast wäre Martins Herz stehen geblieben.
»Ich ruf die Bullen, du Perversling!«
Martin konnte sich nicht bewegen. Jemand hatte ihn entdeckt! Ein Impuls überkam ihn, der Impuls, so schnell er konnte wegzurennen, aber ...
Rühr dich nicht.
Martin blieb still stehen und starrte ins Schlafzimmer.
Mein Sohn, die Erlösung liegt in deiner Hand. Nimm sie entgegen.
Martin wusste, was der Bote meinte, denn er hatte es ja vorher schon gesagt, nicht wahr? In seinem Kopf:
Es ist nicht wichtig, hatte der Bote gesagt. Die Botschaft ist das einzig Wichtige.
So betrunken und einfach gestrickt Martin auch sein mochte – er wusste genau, was der Bote ihm mitteilen wollte: Die Tat war alles, was zählte. Es war egal, ob sie ihn schnappten. Es war egal, ob man ihn zum Tode verurteilte. Der Tod währte ewig und Martin freute sich auf diese neue Ewigkeit im Reich des Boten.
Geh jetzt hinein, mein Sohn. Und überbringe die Botschaft.
Martin zitterte. Er versuchte es, versuchte es mit aller Kraft, aber er konnte sich nicht dazu überwinden, durch dieses Fenster zu steigen. Drinnen war mittlerweile das Licht angegangen; das Miststück hatte zweifellos die Rufe des Nachbarn gehört. Sie hatte einen Morgenmantel angezogen, legte gerade das Telefon zur Seite, und jetzt kam sie ans Fenster, und wenn Martin auch nur ein paar Sekunden länger dort stehen blieb, würde Jane Ryan ihn sehen.
Er rannte weg.
Danach hatte der Bote aufgehört, mit ihm zu reden. Letzte Nacht war Martin auf ganzer Linie gescheitert und das erinnerte ihn an den Rest seines verpfuschten Lebens. Wer nichts wagt, der nichts gewinnt. Wenn man in seinem ganzen Leben niemals ein Risiko einging, hatte man eigentlich kein Leben, denn man gewann nie etwas, und eins wusste Martin genau: Ohne den Boten war er ein Nichts. Den ganzen letzten Tag hatte er sich so voller Leben gefühlt. Er sehnte sich nach diesem Gefühl.
Bitte komm zurück in mein Herz!, flehte er.
Er trug das Messer in einer Scheide am Gürtel. Das Hemd trug er über der Hose, damit es niemand bemerkte. Martin wollte sich vor dem Boten als würdig erweisen. Heute. Hier im Postamt.
Er würde bis zur Mittagspause warten. Dann waren die Zusteller, hauptsächlich Männer, alle unterwegs und die Hälfte der Schalterangestellten und Sortierer hielten sich in der Kantine auf. Er nahm sich vor, ein Büro nach dem anderen abzuklappern, so viele wie möglich aufzuschlitzen und sich dann schließlich selbst umzubringen und vom Boten an einen besseren Ort schicken zu lassen, wo er endlich seine verdiente Belohnung bekam.
Und er wusste auch, mit welchem Büro er anfangen würde – mit dem von Jane Ryan.
»Martin – da sind Sie!« Die strenge Stimme erwischte ihn in dem Moment, als er die Herrentoilette verließ. Jane stand in ihrer knallengen Bluse
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