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Der Hof (German Edition)

Der Hof (German Edition)

Titel: Der Hof (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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Mathilde schiebt sich das regennasse Haar hinters Ohr.
    «Wirst du zurückkommen? Hierher, meine ich?»
    «Das weiß ich nicht», sage ich überrascht. Ich wünschte, ich könnte es ihr sagen. Aber die Entscheidung habe nicht ich zu treffen.
    «Du solltest wenigstens bis morgen früh bleiben.»
    «Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.»
    «Mein Vater wird sich wieder beruhigen, und zu dieser Tageszeit fahren keine Autos.»
    Das ist ein Argument. Wenn ich jetzt verschwinde, bin ich entweder die ganze Nacht unterwegs oder stehe morgen früh immer noch wartend am Tor. «Ich will euch aber keine Schwierigkeiten mehr machen.»
    «Das tust du nicht. Du bleibst also heute Nacht? Weil … ich müsste vorher noch mit dir reden.»
    «Worüber?»
    «Nicht jetzt.» Sie steht jetzt dicht vor mir. Ihre grauen Augen wirken riesig. «Kann ich später zu dir auf den Dachboden kommen? Nach Mitternacht?»
    «Ich … okay. Klar.»
    Ihre Hand ruht leicht auf meiner Brust. «Danke.»
    Ich starre hinter ihr her, als sie zurück zu dem eingerüsteten Haus geht und darin verschwindet. Dann stehe ich allein in der Stille nach dem Regen. Inzwischen hat es sich merklich abgekühlt, und ein leichter Wind lässt die alte Wetterfahne quietschen, die auf dem Dachfirst des Stalls thront. Das ferne Rauschen der Bäume dringt zu mir, und die Wolken jagen über einen noch nicht vollständig schwarzen Himmel und verhüllen immer wieder den aufsteigenden Mond. Meine Gedanken sind in Aufruhr, als ich den Hof überquere und zur Scheune gehe. Alles schien plötzlich so klar zu sein. Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich denken soll.
    Oder was Mathilde von mir wollen könnte.
    Plötzlich überkommen mich Zweifel, und ich spüre, wie meine Beine fast nachgeben.
Himmel, was tue ich hier überhaupt?
Ich lehne mich gegen die Scheunenwand und sauge gierig die Luft ein. Erst jetzt merke ich, dass ich die Küche ohne meinen Gehstock verlassen habe. Kurz gerate ich in Panik, aber der Moment ist schnell vorbei. Ich werde deshalb nicht zurückgehen, und sobald ich das akzeptiere, beruhige ich mich schnell wieder. Ich atme ein letztes Mal tief durch, straffe mich und steige auf den Dachboden, um meine Sachen zu packen. Die Zweifel sind noch immer da, aber wenigstens weiß ich jetzt, was ich zu tun habe.
    Es ist an der Zeit, mich meinen Taten zu stellen.

LONDON
    Es ist dunkel, als ich in den Docklands ankomme. Ich habe keine Ahnung, wie spät es ist, und die Ziffern meiner Uhr formen einen unleserlichen Code. Aber es ist spät. Die Bars und Restaurants, an denen ich vorbeikomme, haben bereits geschlossen. Das einzige Geräusch in der Nacht sind meine Schritte.
    Ich habe jene Stufe der Pseudoklarheit erreicht, die sich irgendwie nüchtern anfühlt. Jez sagte, das Fitnessstudio sei neben einem ungenutzten Kai, aber nachdem ich eine Weile ziellos herumgelaufen bin, habe ich mich völlig verlaufen. Die Gegend ist ein Gewirr aus unbeleuchteten Hochhäusern, restaurierten Hafengebäuden und baufälligen Lagerhallen, die bei der halbherzigen Erneuerung übersehen wurden.
    So langsam begreife ich, wie dumm das alles ist. Selbst wenn ich Jules finde, was soll ich dann machen? Jede Vorstellung von Rache kommt mir jetzt pathetisch vor; alkoholgeschwängerte Phantasie, um meine Schuldgefühle verstummen zu lassen. Während ich durch die leeren Straßen gehe, hallen Yasmins Anschuldigungen als Dauerschleife in meinem Kopf wider.
Du hast sie verlassen. Sie wollte es dir leicht machen, und du hast ihr das erlaubt, stimmt’s?
Stimmte das wirklich? Ist es wirklich so geschehen? Ich weiß es nicht mehr. Die Vorstellung, das Baby könne meins gewesen sein, erzeugt einen Schmerz unter meinem Brustbein. Ich bin immer wieder alles durchgegangen, was Chloe über ihre Schwangerschaft gesagt hat, und habe versucht, die Wahrheit zu ergründen. Sosehr ich daran glauben will, dass Yasmin mir damit einfach weh tun wollte, weiß ich, dass nicht Jules an allem schuld ist.
    Ein heraufziehender Kater pocht schmerzhaft in meinen Schläfen. Ich bin müde, ich bin krank vor Reue und Selbsthass. Ich will nur noch zurück in meine Wohnung, aber ich habe keine Ahnung, wohin ich mich wenden muss. Für mich sehen die Straßen alle gleich aus; Tunnel aus Ziegelsteinen, Chrom und Glas, die allzu oft in Sackgassen aus dunklem Wasser und stillen Booten enden.
    Dann gehe ich um die nächste Ecke und sehe am anderen Ende der Straße Licht aus einer offenen Tür fallen. Darüber ist ein Fenster erleuchtet,

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