Der Hof (German Edition)
schlimmer geworden wäre, hätte ich schon dafür gesorgt, dass du die beste medizinische Versorgung bekommst.»
Es ist schon komisch, aber ich glaube ihr. Sie blickt mich noch einen Moment lang an, dann fährt sie fort, den Verbandsmull zu entfernen.
«Es steht mir also frei zu gehen, wann immer ich will?»
«Natürlich.»
«Und wieso war die Falltür dann verriegelt?»
«Du warst im Delirium. Ich wollte nicht, dass du die Stufen runterfällst und dich verletzt.»
Die Ironie, die in dieser Vorsichtsmaßnahme steckt, lässt mich fast lachen. «Oder wolltest du nicht riskieren, von deinem Vater erwischt zu werden?»
Ihr Schweigen bestätigt meinen Verdacht. Ich weiß nicht, wie lange sie meine Gegenwart geheim halten zu können hoffte. Aber nachdem ich diesen Mann kennengelernt habe, verstehe ich, warum sie verhindern wollte, dass er von mir erfährt. Ich bin nur froh, von seinen Töchtern im Wald gefunden worden zu sein, nicht von ihm selbst.
«Wie hast du mich hier oben hinschaffen können, ohne dass er davon erfährt?», frage ich.
«Mein Vater hat einen schlimmen Rücken und verschläft meist die Nachmittage. Wir haben dich mit einer Decke vom Wald hierhergetragen. Und wir haben oft Pausen gemacht.» Mathilde bearbeitet behutsam das letzte Stück Mull, das sich nicht lösen will. «Ich weiß, wie spartanisch die Scheune ist. Aber hier ist es trocken und bequem. Du kannst bleiben, solange du willst. Zumindest so lange, bis du wieder zu Kräften gekommen bist.»
«Machst du dir nicht Sorgen, ich könnte der Polizei erzählen, was mir passiert ist?»
«Das ist ganz allein deine Entscheidung.»
Erneut stelle ich fest, dass ich ihr glauben will. Bis ich mich an das in Folie gewickelte Päckchen in meinem Rucksack erinnere. Vielleicht hat sie ja guten Grund zu glauben, dass ich nicht zur Polizei gehe, überlege ich und komme ins Schwitzen. Aber dann entfernt Mathilde den letzten Verbandsmull. Als ich sehe, was darunter zum Vorschein kommt, vergesse ich alles andere.
«Ach du Scheiße!»
Mein ganzer Fuß ist geschwollen und verfärbt. Die Zehennägel heben sich wie winzige Perlmuttknöpfe von der violett verfärbten Haut ab, und dazu passende, gewölbte Wunden gehen vom Knöchel bis hinunter zum Spann. Sie sind geschwollen und entzündet. Hässliche, kleine Münder, die mit getrocknetem Blut und gelbem Eiter verklebt sind. Die schwarzen Borsten des Nahtmaterials stehen wie die Beine toter Spinnen daraus hervor.
«Ist das in Ordnung?», frage ich besorgt.
Mathildes Gesicht ist ausdruckslos, während sie ein Stück Watte befeuchtet und beginnt, die Löcher zu reinigen. «Es verheilt.»
«Es verheilt?» Ich starre auf meinen Fuß. Das Pochen scheint heftiger zu sein, nachdem ich gesehen habe, wie schlimm es ist. «Glaubst du nicht, das sollte sich ein Arzt ansehen?»
Sie betupft die Wunden in aller Ruhe. «Ich habe dir schon gesagt, dass es zu einer Infektion gekommen ist. Dagegen bekommst du ein Antibiotikum. Aber wenn dir ein Arzt lieber ist …»
Der Anblick dieses deformierten Dings am Ende meines Beins lässt mich fast in Versuchung geraten. Aber ein Arzt würde Fragen stellen, sowohl mir als auch Mathilde. Und etwas ist an Mathildes Art, das mir Vertrauen einflößt.
«Solange du denkst, das ist in Ordnung …»
Sie nickt. Dann wechselt sie den Wattebausch und reinigt weiter vorsichtig die Wunden. Ihre Hände sind rau, die Fingernägel kurz geschnitten und kantig. Sie trägt keine Ringe. Nachdem der letzte Einschnitt gesäubert ist, legt sie die Watte zurück und holt eine Tube Wundsalbe aus der Blechkiste. «Das wird jetzt weh tun.»
Und das tut es. Als sie mit meinem Fuß fertig ist, sieht er gar nicht mehr so schlimm aus. Schon eher wie ein Körperglied und nicht mehr wie ein Haufen Hackfleisch. Mathilde legt frischen Mull auf und umwickelt den Fuß mit der frischen Mullbinde. Ihre Bewegungen sind geschickt und ökonomisch. Die Spitze eines weißen Ohrs lugt zwischen ihren dunklen Haaren hervor. Die Schatten unter ihren Augen wirken ausgeprägter als beim letzten Mal. Sie hat etwas Verletzliches und zugleich Unverbrüchliches. Eine Selbstbeherrschung, die nur schwer zu erschüttern ist. Zumal sie sich für die Geschehnisse des gestrigen Abends nicht wirklich entschuldigt hat, habe ich irgendwie das Gefühl, derjenige zu sein, der sich unangemessen verhalten hat.
Ich räuspere mich, nachdem sie fertig ist. «Danke.»
Mathilde beginnt, die Sachen zurück in die Blechkiste zu räumen. «Ich
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