Der Hof (German Edition)
Toren des Bauernhofs zu sein, fühlt sich für mich an, als würde ich eine Welt betreten, deren Existenz ich vergessen hatte. Ich bin nicht darauf vorbereitet, wie ungeschützt ich mich fühle und wie sehr ich mich offenbar an das inselartige Universum des Hofs gewöhnt habe. Aber schon bald werde ich von dem warmen Abend und dem beständigen Brummen des Motors eingelullt. Ich beginne, die Fahrt zu genießen, stütze den Ellenbogen auf der Fensterlaibung ab und halte mein Gesicht in den Fahrtwind. Die Luft ist warm und riecht nach Sommer, Pollen und Asphalt. Mathilde ist nicht so entspannt. Und sie hat es eilig zurückzukommen, wenn ich das Tempo, das den alten Pritschenwagen vibrieren lässt, richtig deute.
Vor uns erstreckt sich das graue Asphaltband. Die Weizenfelder rechts der Straße werden immer wieder von großen, fedrigen Pappeln und breiteren Bäumen unterbrochen, die wie Broccoliröschen aussehen.
Mathildes Hand streift meinen Arm, als sie einen Gang runterschaltet, weil der Wagen eine Anhöhe hinaufkeucht. Es passiert zufällig, aber plötzlich bin ich mir mehr ihrer Gegenwart bewusst und weniger unserer Umgebung. Sie trägt ein weißes Baumwollhemd, bei dem die Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgerollt sind. Ihre Hände sehen auf dem Lenkrad verwittert aus, und die Fingerknöchel der Hand am Schaltknüppel wirken wund. Die kurzgeschnittenen Fingernägel heben sich rosig und gesund von der gebräunten Haut ab.
Die Stille, die mir bis zu diesem Moment gar nicht aufgefallen ist, fühlt sich allmählich unangenehm an.
«Wo hast du so gut Englisch gelernt?», frage ich schließlich.
Sie zwinkert, als wäre sie in Gedanken weit weg gewesen. «Wie bitte?»
«Du hast Englisch mit mir gesprochen, als ich das erste Mal auf dem Dachboden aufwachte. Hast du das in der Schule gelernt?»
«Meine Mutter hat es mir beigebracht. Sie war Lehrerin, ehe sie geheiratet hat. Englisch, Deutsch und Italienisch.»
«Du sprichst all diese Sprachen?»
«Nicht so richtig. Ein bisschen Italienisch, aber das meiste werde ich inzwischen vergessen haben.»
«Was ist mit Gretchen?», frage ich, weil ich mich an den leeren Gesichtsausdruck ihrer Schwester erinnere, als ich versehentlich Englisch mit ihr sprach.
«Leider nicht. Meine Mutter starb, ehe Gretchen alt genug war, um es zu lernen», sagt Mathilde tonlos. Dann fügte sie hinzu: «Wir sind da.»
Sie fährt auf den Hof einer Tankstelle, die nicht viel mehr ist als eine weiß gestrichene Hütte mit zwei Tanksäulen davor. Aber draußen hängt auch das verblasste Schild der Biermarke Stella Artois, und ein paar ramponierte Tische und Stühle stehen unter einem Wellblechdach. Vermutlich dient die Tankstelle auch als Bar.
Mathilde parkt neben einer der Zapfsäulen. Sie wirkt ganz ruhig, aber ich sehe an ihrem Hals direkt über dem Hemdkragen eine Ader wie ein Hämmerchen pulsieren. Aus irgendeinem Grund tut sie mir leid. Was ich sage, überrascht mich mehr als sie.
«Möchtest du mit mir reingehen und was trinken?»
Sie sieht mich an, und eine Sekunde lang flammt etwas auf, das nur Angst sein kann. Der Moment ist schnell vorbei. «Nein, vielen Dank. Aber ich muss tanken. Du kannst dir also Zeit lassen, wenn du was trinken willst.»
Mein Gesicht ist heiß, als ich den Sicherheitsgurt löse. Als er über mich hinweggleitet, blitzt die Erinnerung an den blutbefleckten Sicherheitsgurt im Audi wieder auf, und ich steige rasch aus. Das Summen der Zapfsäule beginnt hinter mir, während ich die Krücke unter meinen Arm klemme und über den staubigen Betonhof zu der Bar gehe.
Im Innern ist es dunkel. Es sind nicht viele Kunden da, nur drei oder vier Männer, die an den Tischen sitzen. Ein weiterer an der Bar. Es gibt die üblichen Schilder für Stella, Pernod und Orangina, und ein intensiver Tabakgeruch hängt in der Luft.
Der Barmann zapft gerade ein Bier, als ich hereinkomme, und lässt geübt den Hahn nach oben schnellen. Dann wischt er mit einem Holzspatel die Schaumkrone vom Glas. Er stellt das Bier vor den alten Mann an der Bar, der nicht von seiner Zeitung aufblickt. Ich ziehe den einen oder anderen Blick auf mich, als ich hineinhumple, aber es fühlt sich so gut an, mal wieder in einer Bar zu stehen und in Gesellschaft zu sein, dass ich fast die Todsünde aller Bargänger begehe und lächle. Stattdessen bemühe ich mich, mein Gesicht ausdruckslos wirken zu lassen. Ich trete an die Bar und setze mich auf einen der Hocker.
«Sechs Päckchen Camel und ein Bier», sage
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