Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
eine Ecke bogen, sah sich Noel um, ob ihnen ein anderer Wagen folgte. Das taten einige, aber keiner besonders lang. Er erinnerte sich an das, was Helden gesagt hatte: Sie setzen oft Funkgeräte ein. Etwas so Einfaches wie ein Mantelwechsel oder ein Hut, den man plötzlich trägt, kann sie von der Spur abbringen. Diejenigen, die ihre Instruktionen bekommen, halten Ausschau nach einem Mann mit einem jackett und ohne Hut, aber er ist nicht da.
Gab es da unsichtbare Männer, die nach einem bestimmten Taxi und einem bestimmten Passagier Ausschau hielten, der bestimmte Kleidung trug? Das würde er nie wissen, er wußte nur, daß ihm im Augenblick niemand zu folgen schien.
Während der etwa zwanzig Minuten, die sie bis zu seinem Fahrtziel brauchten, war die Nacht hereingebrochen. Die Straßen waren jetzt von bunten Neonlichtern und aufreizenden Plakaten gesäumt. Schlanke blonde Knaben lebten in
Koexistenz mit Huren in geschlitzten Röcken und tief ausgeschnittenen Blusen. Auch eine Art von Karneval, dachte Holcroft, als er die drei Straßen hinunterging, auf die Ecke zu, wo er nach links abbiegen würde.
Er sah die Prostituierte in einer Türnische, wie sie gerade Lippenstift auftrug. Sie war in jenem undefinierbaren Alter, das Huren und schicke Vorstadthausfrauen so hartnäckig vorzutäuschen versuchen – irgendwo zwischen fünfunddreißig und achtundvierzig – in ihrem Fall kein sehr geglückter Versuch. Ihr Haar war nachtschwarz und rahmte ein blasses Gesicht ein; ihre Augen lagen tief in den Höhlen. Hinter ihr, im nächsten Häuserblock, konnte er das Vordach seines schäbigen Hotels sehen. An seiner Neonschrift war ein Buchstabe ausgefallen.
Er ging auf sie zu und wußte nicht recht, was er sagen sollte. Die ihm fehlenden deutschen Sprachkenntnisse waren nicht das einzige Hindernis. Er hatte einfach noch nie eine Hure auf der Straße aufgegabelt.
Er räusperte sich. »Guten Abend, Fräulein. Sprechen Sie Englisch?«
Die Frau erwiderte seinen Blick, zuerst kühl, taxierte seinen Tuchmantel. Dann senkte sich ihr Blick auf den Koffer, den er in der rechten Hand trug, und den Attachékoffer in der Linken. Sie öffnete die Lippen und lächelte; ihre Zähne waren gelb. »Ja, mein amerikanischer Freund. Ich spreche gut. Mit mir kannst du viel Spaß haben.«
»Das möchte ich gerne. Wieviel?«
»Vierzig Deutsche Mark.«
»Ich würde sagen, die Verhandlungen sind abgeschlossen. Kommen Sie mit?« Holcroft holte die Klammer mit den Banknoten aus der Tasche, zählte fünf Scheine ab und reichte sie der Frau. »Fünfzig Deutsche Mark. Gehen wir in das Hotel dort unten an der Straße.«
»Wohin?«
Noel deutete auf das Hotel im nächsten Block. »Dort«, sagte er.
»Gut«, sagte die Frau und griff nach seinem Arm.
Das Zimmer war wie jedes Zimmer in einem billigen Hotel in
einer großen Stadt. Das Beste an diesem hier war die nackte Glühbirne an der Decke. Sie leuchtete so schwach, daß man das wurmstichige, schmutzige Mobiliar nur undeutlich sehen konnte.
»Halbe Stunde«, verkündete die Hure. Sie zog den Mantel aus und legte ihn über einen Sessel. »Du hast eine halbe Stunde. Ich bin das, was ihr Amerikaner einen Businessman nennt. Meine Zeit ist Geld.«
»Aber natürlich«, sagte Holcroft. »Sie können sich ausruhen oder etwas lesen. Wir gehen in fünfzehn oder zwanzig Minuten wieder weg. Sie bleiben bei mir und helfen mir ein Telefongespräch führen.« Er klappte den Aktenkoffer auf und fand das Blatt mit den Notizen über Erich Kessler. An der Wand stand ein Stuhl; er setzte sich und fing im schwachen Licht zu lesen an.
»Ein Telefongespräch?« sagte die Frau. »Du zahlst fünfzig Mark, und ich muß dir nur mit dem Telefon helfen?«
»Richtig.«
»Das ist... verrückt!«
»Ich spreche nicht deutsch. Ich habe vielleicht Schwierigkeiten, die Person zu erreichen, die ich anrufen muß.«
»Weshalb warten wir dann hier? An der Ecke ist ein Telefon. «
»Nur den Schein zu wahren.«
Die Frau lächelte. »Dann bin ich deine Deckung.«
»Was?« Er verstand das deutsche Wort nicht.
»Wenn du mich aufs Zimmer nimmst, stellt niemand Fragen. «
»Das würde ich nicht sagen«, erwiderte Noel etwas verlegen.
»Mich geht das nichts an, mein Herr.« Sie ging auf seinen Stuhl zu. »Aber, wo wir schon hier sind... wir könnten doch ein wenig Spaß haben? Schließlich hast du bezahlt. Ich bin nicht so schlecht. Ich hab’ einmal besser ausgesehen, aber ich bin nicht schlecht.«
Holcroft erwiderte ihr
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