Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
versperrt gewesen.
Noel kauerte sich nieder, die Waffe vor sich ausgestreckt. Niemand war im Raum, aber ein Fenster stand offen, und die kalte Winterluft blähte die Gardinen auf. Er ging verwirrt ans Fenster; warum ließ man bei dem Wetter ein Fenster offen?
Und dann sah er es: Blutspuren auf dem Fenstersims. Jemand hatte heftig geblutet. Vor dem Fenster war eine Feuerleiter. Er konnte rote Flecken auf den Leitersprossen sehen. Derjenige, der die Feuerleiter benutzt hatte, war schwer verwundet gewesen.
Willie?
»Willie? Bist du da?«
Schweigen.
Holcroft rannte ins Schlafzimmer.
Niemand.
»Willie?«
Er wollte sich gerade umdrehen, als er auf der Vertäfelung einer verschlossenen Tür seltsame Spuren sah. Die Vertäfelung war feinstes Schnitzwerk mit Vergoldungen und prunkvollem Lilienmuster, rosa und weiß und hellblau. Aber was er da sah, gehörte nicht zu dem Rokokomuster.
Das waren verwischte Handabdrücke aus Blut.
Er rannte zu der Tür und trat mit solcher Gewalt dagegen, daß die Vertäfelung aufsplitterte.
Er hatte noch nie etwas so Schreckliches gesehen. Über den Rand der leeren Badewanne hing der verstümmelte Körper von Willie Ellis, mit Blut besudelt. Die Brust und der Leib waren ihm förmlich aufgerissen, und die Eingeweide hingen ihm über das rotgetränkte Hemd, seine Kehle war so tief aufgeschlitzt, daß der Kopf kaum noch am Hals festhing, und seine Augen standen weit offen, in Todesqual erstarrt.
Noel brach zusammen und versuchte, die Luft zu schlukken, die seine Lungen nicht füllen wollte.
Und dann sah er das Wort, mit Blut auf die Fliesen über der verstümmelten Leiche hingekritzelt.
ABWEHR
38.
Helden fand den Weg drei Kilometer hinter der Stelle, wo sich die Straße von Pres-du-Lac gabelte. Sie hatte sich vom Portier eine Taschenlampe ausgeborgt, deren Lichtkegel sie jetzt vor sich richtete, während sie sich den Weg zu Werner Gerhardts Haus durch den Wald bahnte.
Es war eigentlich gar kein richtiges Haus, dachte Helden, als sie das seltsam aussehende Gebäude erreichte, das eher wie eine Miniaturfestung aussah. Es war sehr klein — kleiner
als die Hütte Falkenheims -, aber von der Stelle aus, wo sie stand, schienen die Mauern ungewöhnlich dick zu sein. Der Lichtkegel ihrer Taschenlampe erfaßte vorstehende Steinbrocken, die entlang der zwei Seiten, die sie sehen konnte, mit Mörtel verbunden waren; auch das Dach wirkte sehr massiv. Die wenigen Fenster lagen ziemlich hoch und waren ganz schmal. Sie hatte noch nie ein solches Haus gesehen. Es schien in ein Kindermärchen zu passen, in dem Hexen und Zaubersprüche vorkamen.
Damit war auch eine Frage beantwortet, die die Bemerkungen des Portiers in ihr hatten aufkommen lassen, als sie vor ein paar Stunden vom Dorfplatz zurückgekommen war.
»Haben Sie den verrückten Gerhardt gefunden? Es heißt, er sei einmal ein großer Diplomat gewesen, ehe es in seinem Kopf zu rappeln anfing. Es heißt, daß sich seine alten Freunde immer noch um ihn kümmern, obwohl ihn heute keine mehr besuchen. Aber früher einmal haben sie für ihn gesorgt. Sie haben ihm am See ein stabiles Haus gebaut. «
Kein Wind, kein Sturm, kein Schneefall würde je irgendeine Wirkung auf dieses Haus haben. Jemand hatte wirklich vorgesorgt.
Sie hörte das Geräusch einer sich öffnenden Tür. Es erschreckte Helden, weil in den seitlichen oder hinteren Mauern keine Tür war. Dann erfaßte der Lichtkegel die kleinwüchsige Gestalt Werner Gerhardts. Er stand am Rande der zum See führenden Terrasse und hob die Hand. Wie war es nur möglich, daß der alte Mann sie gehört hatte?
»Ich sehe, Sie sind gekommen«, sagte Gerhardt, und in seiner Stimme war keine Spur von Wahnsinn. »Schnell jetzt, im Wald ist es kalt. Kommen Sie herein vors Feuer. Wir wollen Tee trinken.«
Der Raum war größer, als man in diesem kleinen Haus erwartet hätte. Das schwere Mobiliar war alt, aber bequem, mit viel Leder und Holz. Helden saß auf der Ottomane, vom Feuer und dem Tee durchwärmt. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie sehr sie gefroren hatte.
Sie redeten jetzt schon seit ein paar Minuten, wobei Gerhardt ihre erste Frage beantwortete, ehe sie überhaupt Gelegenheit hatte, sie zu stellen.
»Ich bin vor fünf Jahren aus Berlin hierhergekommen, über München, wo man meine Tarnung vorbereitet hatte. Ich war ein >Opfer< der ODESSA, ein zerbrochener Mann, der seine letzten Jahre in Senilität und Einsamkeit verlebte. Ich bin eine lächerliche Gestalt; ein Arzt in der Klinik führt
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