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Der Hollywood-Mord

Der Hollywood-Mord

Titel: Der Hollywood-Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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dieser Zeit, in der sich Wildfremde verwirrt oder hilflos oder mit verklärten Gesichtern einander zuwandten, je nach dem Grad ihrer Intelligenz, und sich die Hände schüttelten. In der Zeit, in der Martin Welborn dann am liebsten weggerannt wäre.
    Wie konnten sie es wagen, sich zwischen ihn und seinen Gott zu drängen? Wie konnten diese geistig verarmten Priester übersehen, daß sie, indem sie das Ritual und das Mysterium und die Schuld aushöhlten, den Glauben selbst kastrierten? Alles, was die katholische Kirche bisher ausgemacht hatte, waren Ritual und Mysterium und Schuld. Und das war das Allerwichtigste. Das war die Ordnung. Wer konnte sich mehr wünschen von Gott und den Menschen? Die vollkommene Ordnung.
    Es war Zeit zu gehen, und er hatte es noch nicht gefunden. Er stand auf, um in die zweite Bankreihe vor sich in der leeren Kathedrale zu sehen. Dann sah er es. Man hatte es heute in einer anderen Bankreihe liegenlassen. Dies war sein dritter Besuch in dieser Woche. Er hatte sogar eines Abends nach Dienstschluß einen Besuch gemacht. Es war mit Bleistift auf liniiertem Notizpapier geschrieben. Die Hand, die den Zettel geschrieben hatte, war unsicher und zart gewesen. Auf dem Zettel stand: »Versäume nie die Novene. Geheiligtes Herz Jesu, sei gelobt und gepriesen jetzt und immerdar. Geheiligtes Herz Jesu, bitte für uns. Mutter Gottes, heiligste Maria, bitte für uns. Heilige Theresa, bitte für uns. Heiliger Judas, Helfer der Hoffnungslosen, bitte für uns. Unser einziger Vater, unsere heilige Maria, unsere einzige Herrlichkeit jetzt und immerdar. Neun Tage Novene. Laß jeden Tag eine Abschrift in der Kirche liegen. Am Ende der neun Tage werden deine Gebete erhört.«
    Martin Welborn las es zweimal, war versucht, das Vaterunser und zur heiligen Maria und zur Herrlichkeit zu beten, aber er tat es nicht. Er hatte seit langem kein Gebet mehr gesprochen. Er legte den Zettel auf die Kirchenbank zurück, auf der er ihn gefunden hatte, und verließ die Kathedrale.
    Bevor er hinausging, kam ihm plötzlich der alte Kardinal wieder in den Sinn, der nun schon so lange tot war. Als er noch ein junger Polizist in Uniform war, vor der totalen Verwüstung, die das Zweite Vatikanische Konzil angerichtet hatte, nahm er liebend gern an den feierlichen Hochämtern teil und lauschte den gregorianischen Gesängen. Der alte Kardinal war ein Fels, aber die Verfügungen des Zweiten Vatikanischen Konzils hätten ihn am Ende bestimmt umgebracht, wenn es nicht das Alter getan hätte. Martin Welborn würde niemals vergessen, mit welcher Würde der alte Mann die alten lateinischen Liturgien gesungen hatte. Einmal hatte Martin Welborn niederknien und den Ring des alten Mannes küssen müssen. Der Kardinal trug hübsche karmesinrote Slipper.
    »Diesmal warst du geschlagene zwanzig Minuten drin«, sagte Al Mackey, als Martin Welborn langsam die Stufen von St. Vibiana herunterkam, zwei schlafenden Säufern ausweichend, die gerade in die große grüne Minna für Betrunkene gebracht werden sollten, die ihre Runden fuhr.
    »Was? So lange kann ich gar nicht drin gewesen sein.«
    »Ich sag's dir, Marty. Zwanzig Minuten. Was machst du da drin?«
    »Nichts. Es ist friedlich.«
    »Betest du, oder was?«
    »Nicht unbedingt.«
    »Aber was machst du da drin? Klaust du die Armenkollekte? Oder was?«
    »Ich sitz da.«
    Al Mackey schüttelte den Kopf und seufzte und fuhr die Los Angeles Street hoch zum Hollywood Freeway. Ein paar Minuten fuhren sie schweigend dahin, dann sagte Al Mackey: »Ich weiß nicht, wie ich's dir sagen soll … weißt du, ich glaube … Marty, ich möchte mit dir über was reden.«
    »Aber natürlich, mein Sohn.« Martin Welborn lächelte. Er wirkte außerordentlich gelassen. In letzter Zeit wirkte er immer außerordentlich gelassen. Und genau das machte Al Mackey außerordentlich nervös.
    »Wir sind seit langem Partner, Marty. Ich habe das Recht dazu.«
    »Was für ein Recht, Al?«
    »Ich habe das Recht, mich in deine Angelegenheiten einzumischen.«
    »Misch mal schön.«
    »Also, uh, meiner Meinung nach, ich bin da sicher kein Experte, aber ich hab meine Meinung. Ich bin der Meinung, du solltest mit irgendeinem reden.«
    »Mit irgendeinem?«
    »Vielleicht mit einem Arzt. Vielleicht sogar mit dem Arzt, den wir im Fall Simpson getroffen haben. War ein sehr netter Kerl.«
    »Der Psychiater?«
    »Ja, irgend jemand von der Sorte.«
    »Was sollte ich so einem Psychiater erzählen?«
    »Verdammt, Marty, ich weiß nicht!« Al

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