Der Hort der Waechter
-wenn er das Wort gekannt hätte .
»Ich weiß es nicht«, antwortete Thaddäus. »Aber ... vielleicht endet unsere Ewigkeit und mit ihr unsere Welt .«
»Was soll dann geschehen?« entfuhr es Simon.
»Vielleicht steht der Tag unserer Bestimmung bevor«, sagte Thaddäus leise.
»Du meinst...?«
Wieder nickte Thaddäus.
Simon fröstelte.
Die Bestimmung .
Weder er noch einer seiner Brüder hatten je davon gesprochen, obschon das Wissen darum in ihnen allen war. Indem aber nie die Rede davon gewesen war, schien der letztendliche Zweck ihres Daseins bei jedem in Vergessenheit geraten zu sein.
Vielleicht war es ein Fehler gewesen. Vielleicht hätten sie öfter daran denken sollen. Denn nun, da das fast Vergessene mit Macht heraufbeschworen wurde, erzitterte Simon darunter.
Mit bebenden Lippen sprach er aus, was die Worte seines Bruders meinten: »Der Tag also, an dem wir erwachen ...«
Landru wußte nicht, wann er zum letzten Mal ein Gefühl solch tiefer Ehrfurcht und Befriedigung empfunden hatte.
Vielleicht noch nie .
Nicht einmal das Gefühl, als er den Lilienkelch nach 269 Jahren wieder in Händen gehalten hatte, schien ihm vergleichbar mit dem, das die Gegenwart des Kindes in ihm auslöste.
Ihre Begegnung konnte der Beginn eines Ereignisses sein, das die Welt verändern mochte. Und er, Landru, würde Teil dieses Prozesses sein, vielleicht sogar der bestimmende, der lenkende, der letztlich triumphierende Teil. Denn nichts deutete bislang darauf hin, daß der Knabe sich seiner Bedeutung bewußt war.
Vielleicht, überlegte Landru nicht ohne Stolz, war es ja so, daß das Kind ihm an die Hand gegeben wurde - als Mittel zum Zweck gewissermaßen. Womöglich war er selbst es, dem die große Aufgabe zuteil wurde, die Alte Rasse in gewissem Sinne neu zu erschaffen, das Kind nur solange nutzend, bis es vollbracht war .
»Woran denkst du?« fragte Gabriel, der ihm in der Stube des Bauernhauses bislang schweigend gegenübergesessen hatte, scheinbar selbst in Gedanken versunken.
Landru sah auf und drängte alle Nachdenklichkeit aus seinen Zügen. Er lächelte, wenn auch nicht mehr ganz in der Art eines Vaters, sondern eher verschlagen, wie es ihm im Grunde eigen war.
»Mich würde vielmehr interessieren, woran du denkst«, erwiderte er.
Das hätte er in der Tat gerne gewußt. Bislang hatte Gabriel mit keinem Wort bestätigt, was Landru in ihm sah. Doch er zögerte noch immer, sich dieses Wissen kraft seiner geistigen Macht anzueignen.
»An mein Ziel«, sagte der Junge da endlich.
»Dein Ziel?«
Gabriel nickte.
»Wie sieht es aus, dein Ziel?« fragte Landru, seine Unruhe mühsam bezwingend. »Worin besteht es?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte der Junge im Tonfall kindlicher Unbedarftheit.
»Weißt du denn irgend etwas darüber?« hakte der Vampir weiter nach.
»Nur, daß es von großer Bedeutung ist.«
»Von großer Bedeutung für wen?«
»Für ...«, Gabriel zögerte einen Moment wie überlegend, als müßte er die notwendige Information erst mühevoll suchen, dann: ». uns.«
Etwas wie ein Leuchten schien über Landrus stets düstere Miene zu huschen.
»Für uns?« echote er und fragte dann wie beiläufig: »Wer ist uns?«
»Ich.« Gabriel lächelte, und Landru fragte sich, woher der stille Triumph in diesem Lächeln rührte.
»Das ... verstehe ich nicht ganz«, meinte er dann.
Der Junge zuckte die Schultern. »Das mußt du ja auch nicht.«
»Ich würde dir aber gerne helfen«, erklärte Landru. »Hast du mich nicht gebeten, dein Vater zu sein? Väter helfen ihren Söhnen nun einmal.«
»Du wirst mir helfen«, gab sich der Knabe überzeugt. »Sehr sogar. Denn ohne dich könnte ich mein Ziel nicht erreichen.«
Landru spürte, wie ihm sein schwarzes Blut ein klein wenig schneller durch die Adern kroch. Das Gespräch schien in die richtige Richtung zu laufen, auf Umwegen zwar, aber immerhin gelangten sie allmählich näher an den Kern der Sache.
Vielleicht war es an diesem Punkt ihres Dialogs ja noch zu früh, aber Landru konnte die entscheidende Frage kaum mehr zurückhalten.
»Das heißt, wir werden es gemeinsam angehen?« stellte er dann doch noch eine andere.
»Du wirst mich - nun, hinbringen, so könnte man es nennen«, sagte Gabriel.
»Dazu muß ich aber den Weg kennen«, wandte der einstige Hüter ein.
»Das ist nicht nötig«, behauptete der Junge.
Es hatte kaum Momente im Leben Landrus gegeben, da er um Worte verlegen gewesen wäre. Jetzt aber war er es. Die Kehle wurde ihm
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