Der Hoteldetektiv
Stunde verplempert,
vor allem, wenn man weiß, daß einen ein süßes Mädchen erwartet.
Doch keine Angst, ich bin ein sehr altmodischer Mensch, es han-
delte sich selbstverständlich um Jinny, die mir in Kapstadt Ange-
traute.
Wir wußten noch nicht genau wo, aber wir wollten unsere Flitter-
wochen nun endlich an irgendeinem verschwiegenen idyllischen
Plätzchen meiner Heimat verbringen. Auf jeden Fall sollte es da
kein Telefon geben, damit uns niemand, auch nicht der große sanf-
te Sheraman, aufstöbern konnte.
Und Jinny sol te natürlich auch Mama vorgestellt werden, ein Er-
eignis, dem ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge
entgegensah. Es hatte mich schließlich runde fünfundzwanzig 46
Jahre meines Lebens gekostet, mich aus ihrer Fürsorge zu befreien, die im Winter wollene Unterwäsche und Hustensirup, jeden Sonn-tag Sauerbraten und einen Obsttag zur Entschlackung in jeder Wo-
che beinhaltete. Dazu Argusaugen, unter denen die bescheidene
Antwort eines mir liebwerten Mädchens zum Stottern einer Närrin
wurde, scheues Zögern zur Körperbehinderung, und was der Dinge
mehr sind.
Mama war in ihrer Jugend Schauspielerin gewesen, bis sie den
Schwüren meines Vaters erlag, sie bis an sein Lebensende auf Hän-
den zu tragen. Es blieb ihm nicht viel Zeit dazu, denn nach der
Blitzhochzeit und meiner Zeugung mußte er wieder an die Front,
und seither ward nichts mehr von ihm gehört.
Meine Mutter behauptet steif und fest, daß er noch lebe, und ihr
Lieblingslied bis zum heutigen Tage ist: »Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen.«
Ich muß sagen, sie war schon zu bewundern, wie sie ihre große
Karriere für mich opferte, zur Erinnerung an meinen Vater in des-
sen Heimatstadt Aachen zog und dafür Berlin aufgab; mit dem
Mut einer Löwin einen Hutsalon eröffnete zu einer Zeit, als der
Einheitskopfputz noch Kopftuch hieß.
Mama erzog mich liebevol und streng in dem winzigen Zimmer
hinter dem Laden, in dem es immer nach angesengtem Filz, Kreide
und Dampf roch.
Da kriegte ich meine drei Mahlzeiten täglich, da machte ich
Schulaufgaben und ochste später für die TH; Mama wollte unbe-
dingt einen Diplomingenieur aus mir machen. Hier las ich auch die
ersten Liebes- und Kriminalromane, verbotenerweise, was ich nicht
ganz verstand, denn meine Mutter verschlang sie in ihrer spärlichen Freizeit, garniert mit schokoladenen Negerküssen.
Als ich auf die TH ging, bezogen wir eine Neubauwohnung, denn
Mutter meinte: »Du wirst ja auch Freunde mitbringen wollen, und
die sollen sehen, daß du ein anständiges Elternhaus hast.« Nun
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ging sie nur noch halbe Tage ins Geschäft, den Rest des Tages wid-
mete sie ganz mir.
Ich brachte tatsächlich anfangs Freunde mit; beim ersten Mal fan-
den sie Mutter toll, so schick und so charmant, beim zweiten Mal
rutschten sie unbehaglich auf den zierlichen Stühlen hin und her,
auf denen wir um den Teetisch saßen, und beim dritten Mal sagten
sie: »Mensch, laß uns lieber in 'ne Kneipe gehen. Deine Mutter
geht einem mit ihrem Getue auf die Nerven.«
Arme Mama, dabei meinte sie es so gut. Aber sie verstand, eine
Niederlage mit Würde zu tragen, sogar, als ich ihr kurz darauf er-
klärte – und damit nur die Meinung meiner Lehrer wiedergab –,
daß aus mir niemals ein Ingenieur würde, denn mir fehlte es dafür
an mathematischem Verstand.
Und was sol jetzt aus dir werden? Wil st du womöglich wie dein
Vater Polizist werden? Es war das erste Mal, daß sie dieses Geheimnis lüftete. Mein Vater hatte Polizist werden wollen, war aber wie zu so vielem gar nicht erst dazu gekommen; dafür war es vor ihm
sein Vater gewesen und davor sein Großvater und … Ich konnte
also auf eine ganze Ahnenkette von Männern zurückblicken, die
stets als Freund und Helfer dem Bürger gedient hatten.
Mir kribbelte es in den Fingerspitzen, mir wurde ganz warm ums
Herz. Fantasie und Spürsinn – das war es, was ich besaß. Mit einer fundierten Ausbildung sollte mir doch der Sprung in irgendeines
der aufregenden Kriminaldezernate gelingen, wie Mord und Raub,
oder auch Sitte, meinetwegen.
Daß ich dann schließlich einer der namenlosen und gesichtslosen
Spürnasen wurde, die sich in jedem besseren Hotel wie Schatten be-
wegen, das ist eine andere Geschichte, und hier bleibt nicht mehr
genug Zeit, sie auch noch zu erzählen.
Da stand Jinnylein, direkt hinter dem Zollschalter, Vergißmein-
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nichtaugen glänzendfeucht, Kirschlippen
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