Der Hoteldetektiv
voll-
klimatisiert, das heißt, die Fenster ließen sich nicht öffnen.
Konnte es an den Farben liegen, die für die Decken verwendet
worden waren, an den Holzlackierungen? In einer unserer Fachzeit-
schriften war vor gar nicht langer Zeit vor bestimmten Farben und
Lackstoffen sowie Präparaten zur Holzbehandlung gewarnt worden.
Es war, als fielen mir die berühmten Schuppen von den Augen.
Ich berichtete Sheraman davon.
»Was können wir tun, Jörg?«
»Am besten, das Hotel evakuieren und Spezialisten hereinholen.
Sie wissen, daß alle unsere heutigen Gäste natürlich frei bei uns lo-gieren.«
»Es sind eine Menge wichtiger Persönlichkeiten darunter. Und
wenn einem von denen etwas passiert, oder auch zweien oder drei-
en …«
Wir schauten uns bedrückt an, das heißt, Sheramans Augen
konnte man wegen der dunklen Brille ja nicht erkennen, aber sein
Mund war sehr schmal geworden.
»Wir müssen uns eine Ausrede einfallen lassen«, sagte Jinny.
»Die Leute dürfen nicht in Panik geraten«, sagte ich.
»Natürlich nicht.«
»Wir feiern einfach durch, so lange es geht, und dann müssen ge-
nügend Mietwagen bereitstehen, um unsere Gäste nach Hause zu
fahren.«
»Aber wir haben auch Auswärtige hier, aus Bonn und Düsseldorf
und München«, sagte Sheraman.
»Ich hole die Gästeliste«, sagte Jinny und war schon verschwun-
den. Es stellte sich heraus, daß es sich um rund fünfzig auswärtige Gäste handelte.
»Wir bringen sie im Kempinski unter«, sagte Sheraman. »Das
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übernehme ich.«
»Wir könnten die Aktion damit begründen, daß ein Defekt im
Leitungssystem aufgetreten sei und eine ausreichende Wasserversor-
gung nicht garantiert werden könne. Keiner wird ja wohl nach einer durchtanzten Nacht auf sein Bad oder die Dusche verzichten wollen.«
»Gute Idee«, sagte Sheraman. »Wirklich gut, Jörg. Und ungefähr-
lich.«
Die meisten unserer Gäste waren froh, ihren Champagnerkater nach
einer Fahrt in einem bequemen Mietauto zu Hause ausschlafen zu
können. Nur ein paar meuterten und meinten, der nächste Tag
wäre schon zum Weiterfeiern angebrochen.
Schließlich blieben uns siebenundvierzig auswärtige Herren, die
nichts dagegen hatten, im Kempinski statt bei uns zu übernachten.
Sie entschlossen sich, sogar noch einen Bummel über den Ku'-
damm zu machen. Ob sie dort leichte Mädchen suchten oder sich
bei Kaules Gulaschkanone noch eine kräftige Erbsensuppe einverlei-
ben wollten – jedenfalls zogen sie ab.
Für uns blieb nach der durchwachten Nacht eine Aufgabe, die
ihresgleichen suchen mag.
Aber Sheraman hatte wie überall auch hier in Berlin gute Ver-
bindungen, und so zog ein Heer von Chemikern ein, die das Haus
vom Dach bis in den Keller untersuchten.
Da Chemie wie auch Mathematik niemals meine Stärke gewesen
war, hielt ich mich zurück, aber Jinny blieb ihnen dicht auf den
Fersen, und nach etwa sechs Stunden hatten wir das erste und letz-
te Ergebnis:
Im ganzen Haus waren keine schädlichen Farben oder Holz-
beizen verwendet worden, aber man hatte die Zimmer mit einem
sehr teuren Teppichboden ganz besonderer Art ausgelegt.
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Man konnte darauf Rotwein verschütten, Blut träufeln oder ein
ganzes Mittagessen samt Soße und Butter fallen lassen, was ja man-
chem Zimmerkellner gelingen soll; klares Wasser und ein sauberes
Tuch – und man sah von der üblen Bescherung nichts mehr.
Der Teppichboden war also mit einem fleckenabstoßenden Mittel
präpariert, das leider, leider nicht genügend getestet war und leider, leider hochgiftig.
Sheraman versagte sich einen Prozeß gegen die Teppichfirma,
doch fanden Verhandlungen hinter geschlossenen Türen statt, bei
denen ihm Jinny als Schriftführerin assistierte.
Nie mehr würde das Teppichversiegelungsmittel angewendet wer-
den, die noch vorhandenen Bestände der Firma wurden diskret von
der Stadtverwaltung beschlagnahmt und ebenso diskret vernichtet.
Nichts von der ganzen Bescherung drang an die Öffentlichkeit.
Aber die Herren der Teppichfirma hatten ihre Lektion erhalten.
Sie mußten nicht nur auf ihre Kosten das Haus mit ungefährlichen
Teppichböden ausstatten, sondern auch für den finanziellen Ver-
lust, den das Hotel durch das erzwungene Fernbleiben von Gästen
erlitt, aufkommen.
Mama wurde nach vier Tagen aus dem Krankenhaus entlassen.
Wir zogen in ein kleines Hotel garni, das sie noch aus ihrer Ju-
gend kannte. Und von ihr mit ihrer wiedergewonnenen Unermüd-
lichkeit
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