Der Hoteldetektiv
angeführt, erlebten wir ein Berlin, wie sie es gekannt hatte –
oder zumindest fast.
Da gab es ein Kabarett, das so frech und lustig war, daß Jinny
vom Lachen Bauchschmerzen bekam. Unter Mamas strahlenden
Augen genossen wir das Kranzler, genossen wir in einer winzigen
Kneipe grüne Bohnen mit Stip, und wieder woanders die berühmte
Weiße mit Schuß und das saftigste Eisbein meines Lebens.
Wir gingen ins Theater, sahen Ballett, Oper, Operette und einen
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alten avantgardistischen Film, der uns das Grausen gelehrt hätte,
wären die Schrecken nicht schon längst in unser aller Leben getre-
ten.
Mama staffierte sich und Jinny mit den schicksten Kleidern aus,
die Berlin zu bieten hatte, und mir schenkte sie eine Rarität aus
dem siebzehnten Jahrhundert – ›Über den Umgang mit hochwohl-
geborenen Damen‹.
Als die Arbeiten in unserem neuen Hause beendet waren, flog
Sheraman nach New York. Wir brachten Mama nach Hause, nach
Aachen, schliefen wieder in meinem schmalen Jungenbett und er-
hielten bald darauf die Nachricht von Westmann, wohin wir dies-
mal geschickt werden sollten.
Das Hotel in Hongkong
ls Jinny und ich in Hongkong eintrafen, war gerade die Zeit der
ATaifune vorbei. Es hatte wieder einmal schlimme Erdrutsche ge-
geben und Verwüstungen, und es gab Hunderttausende oder viel-
leicht sogar eine Million Obdachlose. Selbst offizielle Stellen ver-mochten keine genauen Angaben zu machen. Um nicht den Un-
mut der Behörden zu wecken, wurden alte und gebrechliche Men-
schen von ihren Familien tunlichst versteckt.
Trotz der Glamourherrlichkeiten Hongkongs und der kaum vor-
stellbaren Armut in den Elendsquartieren erzeugt diese Stadt in jedem, der sie unbefangen betritt, ein seltsames Hochgefühl – gerade so, als habe man zu einer festlichen Gelegenheit das erste Glas
Champagner getrunken.
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Für Jinny und mich war die Suite Nummer 9 im White Pearl re-serviert.
Da stand Champagner eiskalt, da gab es eine Palette mit Hors
d'œuvre, ein beinahe weiblich anmutender junger Mann verneigte
sich mehrere Male und hieß uns willkommen. Er bat uns, ihn Li zu
nennen.
»Alle Wünsche, Sir, alle Wünsche mir sagen. Werden erfüllt, so-
fort, Madam.«
»Ich brauche ein Bad«, sagte meine Jinny, der man nicht einmal
den langen ermüdenden Flug von über zwanzig Stunden ansah.
»Missis, badibady«, sagte Li und verschwand.
Das Bad war so groß wie unser Schlafzimmer. Orchideen aller
Farben schmückten die Marmorsimse. Die Wasserhähne waren ver-
goldet, aber es hätte mich auch nicht gewundert, wären sie aus pu-
rem Gold gewesen.
Ich verscheuchte Li und sah Jinny beim Ausziehen zu und wie sie
in das grüne Schaumbad glitt und bis zum Kinn darin verschwand.
»Himmlisch«, murmelte sie, »gibst du mir noch einen Schluck
Champagner, Schatz?«
»Aber gern.« Ich beeilte mich, ihrem Wunsch nachzukommen,
und als sie kleine Schlucke trank, kam sie mir wie ein folgsames
Kind vor, das seine abendliche Honigmilch trinkt.
»Erzähl mir was Schönes, Lieber«, murmelte sie dann.
»Wir sind hier, um aufzudecken, warum die Ausgaben des Hotels
in den letzten Monaten ins Astronomische gestiegen sind.«
»Das findest du schön?« kam es von meiner schläfrigen Jinny.
»Ganz und gar nicht. Und während du dich ausruhst, werde ich
mir hier mal den Laden ansehen.«
In der Zentrale des Hotels, die wiederum in einem Stockwerk lag,
das nicht mit dem üblichen Gästeaufzug zu erreichen war, sah ich
mich einer Reihe von kurzbezopften jungen Chinesinnen gegen-
über, die flink nicht etwa Taschenrechner bedienten, sondern kleine 81
Gestelle mit Drähten, über die sie farbige Holzkugeln mit unglaub-
licher Geschwindigkeit gleiten ließen, addierten, subtrahierten und die errechneten Summen in ihre Kladden eintrugen. Das ganze System hatte einen bedeutenden Fehler – die Zahlen waren ebenfalls
chinesisch.
Jens Börgenson, der Manager des Hotels, hatte mich begleitet,
und als ich die Augenbrauen hochzog, um meiner Überraschung
stumm Ausdruck zu geben, hob er die Schultern.
»Natürlich könnten wir andere Arbeitskräfte bekommen, die we-
nigstens eine europäische Sprache verstehen, darin schreiben, lesen und rechnen können, aber die sind zu teuer.«
»Zu teuer für ein Sheraman-Hotel?«
»Ja, Sir.«
»Und wer überträgt die chinesischen Zahlen in arabische Ziffern?«
»Mein Stellvertreter.«
»Und wo ist der jetzt?«
Börgenson probierte ein Grinsen, aber da wurde nicht
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