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Der Hügel des Windes

Der Hügel des Windes

Titel: Der Hügel des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmine Abate
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vielleicht auch das Eure verändern wird«, schloss der Herr Lehrer enthusiastisch.
    Es war ein Märztag, in vier Monaten waren die Aufnahmeprüfungen für die neue Schule, doch alle Familienmitglieder, einschließlich Ninabella, waren überzeugt davon, dass Michelangelo sie bestehen würde. Gerührt und stolz umarmten sie ihn, den zukünftigen Maestro Arcuri.
    Der Großvater schickte den Jungen in die Kammer nach zwei Flaschen Wein. Eine schenkte er dem Lehrer, die andere entkorkte er mit seinen etwas zittrigen Händen und goss den Erwachsenen jeweils ein Glas ein, den Enkeln zwei Fingerbreit,gemischt mit Wasser. »Lasst uns anstoßen«, sagte er, »auf die Gesundheit von Maestro Tavella und von Michelangelo, der als Erster aus der Familie studieren geht.« Und ungeachtet seines Alters leerte er das Glas in nur zwei Zügen bis auf den letzten Tropfen.
    Später, als der Herr Lehrer zufrieden nach Hause gegangen war, rief der Großvater Michelangelo zu sich und fragte ihn: »Welcher Tag ist heute?«
    »Donnerstag, der 16. März.«
    »Gut. In drei Tagen, am Sonntag, wenn die Frauen in der Kirche sind, steigen wir auf den Rossarco. Du und ich, allein.«
    Der Enkel sah ihn verblüfft und besorgt an, es war zu anstrengend für den Nonno, bis zur Fiumara zu gehen und dann dort hinaufzukraxeln. Er verstand nicht den Grund und brachte nur ein schwaches »Wieso?« heraus.
    »Weil ich dir etwas Wichtiges zeigen muss. Sonntag, habe ich gesagt. Bevor meine letzten Kräfte auch noch zur Hölle fahren.«

15
    Am schwersten fiel dem Großvater, auf den Esel zu steigen. Eine Viertelstunde dauerte es unter Mühen und Flüchen, bis sein Enkel ihn auf den Sattel geschoben hatte, immer darauf bedacht, ihm keine Knochen zu brechen. Das Hinunterkommen wiederum war unerwartet leicht. Der Großvater erinnerte sich, wie er als Kind vom Esel gestiegen war, und ließ sich bäuchlings über den Rücken des Maultiers rutschen, die Finger in den Schwanz verkrallt. Leicht wie ein Strohhalm kam er am Boden an, schob sich den Hut übers Ohr und gab dem Tier einen Klaps, damit es in Ruhe grasen ging.
    Seit über dreieinhalb Jahren war er nicht mehr auf dem Rossarco gewesen, sagte er, und Michelangelo, der im Geist rasch die Zeit überschlug, dachte: Mehr oder weniger seit Papa in der Verbannung auf seiner schönen fernen Insel lebt.
    Der Alte sog die Landschaft mit einem tiefen Atemzug und einem langsamen Rundblick in sich auf. Seine Augen leuchteten. Er wirkte wie einer jener Emigranten aus La Merika, die nach vielen Jahren in ihr Dorf zurückkehrten, fehlte nur noch, dass er den Boden unter seinen Füßen küsste und in Tränen ausbrach.
    Nonno, bitte, tu es nicht, wollte Michelangelo schon rufen, sag mir lieber, warum wir hier sind, das hast du noch nicht verraten. Er ertrug es nicht, erwachsene Männer vor Rührung weinen zu sehen, auch nicht Frauen, auch nicht Kinder, und schon gar nicht den Großvater. In seiner Erinnerunghatte der Vater niemals geweint, und auch er, Michelangelo, verstand nicht, was das für Brunnen waren, die in Ninabellas Augen und denen seiner Altersgenossen zu sprudeln begannen.
    Der Großvater riss sich zusammen, seine Miene verdüsterte sich, und er guckte leicht verwirrt: »Arturì, geh und hol Hacke und Schaufel aus der Casella.« Michelangelo gehorchte lächelnd. Es war nicht das erste Mal, dass Nonno Alberto ihn mit seinem Vater verwechselte.
    Als er mit den Geräten zurückkam, lehnte der Alte mit dem Rücken an dem großen Olivenbaum. Dann ging er laut zählend los: »Eins, zwei, drei, vier ...« Hinter ihm lag das Meer, vor ihm das Sila-Gebirge. Nach neun Schritten blieb er stehen, mit der Schuhspitze zeichnete er ein Kreuz in den Staub und befahl dem Jungen: »Grab hier.«
    Sein Enkel packte die Spitzhacke und begann mit aller Kraft den Boden zu bearbeiten. An dieser Stelle, unter einer dünnen, mit Grashalmen und gelben Blüten bedeckten Erdschicht, war der Untergrund hart und steinig. Michelangelo hackte mit schnellen Schlägen.
    »Lass den Griff locker, wenn du gräbst«, empfahl ihm der Großvater, »sonst klappst du vor Anstrengung zusammen und erreichst nichts. Du musst ein Loch graben, so breit wie deine Schultern und tief bis zu den Knien.«
    Der Junge schaufelte und grub, wurde müde, ab und zu fragte er: »Was suchen wir denn, Nonno?«, und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.
    Der Alte antwortete barsch: »Grab und sei still. Grab, dann wirst du schon sehen.«
    Endlich machte der

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