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Der Hügel des Windes

Der Hügel des Windes

Titel: Der Hügel des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmine Abate
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kann.«
    Konnten die anderen diesen Traum von einem Ort mit geheimnisvollem Duft begreifen? Würden sie nicht lachen angesichts der Wahrheit des Windes? Den Freunden meines Vaters hatte ich erwidert: »Danke für den Kaffee«, Simona war ich ausgewichen: »In Ordnung, ich werd’s versuchen«, und war zu ihm hinaufgestiegen.
    Normalerweise traf man ihn in seinem Gemüsegarten beim Umgraben; manchmal hörte ich schon von Ferne einen hypnotischen Klang, ähnlich der Meeresbrandung in ihremewigen Kommen und Gehen. Mein Vater spielte auf der Chitarra battente, im Schneidersitz an den Stamm des großen Olivenbaums gelehnt, die Augen halb geschlossen und in seinen Gesang vertieft: »Weiße Schwalbe klein, tags auf dem Hügel gedenk ich dein, nachts wünscht ich, du kämest heim, weiße Schwalbe klein.«
    Hier sah ich ihn nun häufiger als damals, als wir noch zusammen in Spillace wohnten. Er zeigte mir seine Peperoni, prächtig und so scharf, dass man sämtliche Sardinen von Marina damit hätte würzen können, oder die Zweige des großen Olivenbaums mit ihren gut fünf verschiedenen Olivenarten. »Drei hat mein Vater gepfropft und zwei ich, als ich jung war«, sagte er zufrieden. »Das Öl, das ihr von mir bekommt, stammt von diesem Baum und sieben kleineren, seinen Nachkommen, die aus seinen Wurzeln entstanden sind: Es ist zu tausend Prozent biologisch, wie deine Frau es schätzt, und es birgt den Blütenduft von hier oben.«
    Wenige Schritte von dem großen Olivenbaum entfernt wuchs ein stolzer Rosenstrauch, der das ganze Jahr über blühte; ein Stück entfernt glänzte ein dicker Stein, rund wie ein Brotlaib. »Das ist die Fiumara-Platte, unter der Nonno Alberto die Münzen versteckt hatte«, sagte mein Vater, drehte den Stein auf seine flache Seite und fragte mich oberlehrerhaft: »Was ist das für ein Zeichen, das hier eingeritzt ist?« Das war leicht: »Ein K.« Und wie ein braver A B C -Schütze lauschte ich aufmerksam seiner Erklärung: »Sehr gut. Es ist das K von Krimisa, glaubte deine Mutter, auch wenn Paolo Orsi sich nicht sicher war. Es könnte auch das K von Kroton sein oder die Initiale eines Namens oder einfach das Geritze eines Schäfers, der sich langweilte. Man hat viele davon gefunden, entlang der Fiumara. Die drei Brüder Arcuri machtensich einen Spaß daraus, sie zu suchen, vor dem Großen Krieg, und die schönsten schleppten sie hier herauf.«
    Dann wanderten wir ohne konkretes Ziel umher. Die trockenen Erdschollen barsten unter unseren Füßen und fegten kleine, prasselnde Staubwirbel durch die Luft.
    Am Tag des Traums kamen wir bis an den Rand der Hochebene. Es war noch warm, obwohl die Sonne schon untergegangen war, die Meeresbrise umspielte sanft unsere Gesichter wie eine leichte, frische Liebkosung. Von hier erkannte man klar die eingleisige Bahnlinie, den Leuchtturm der Punta Alice, den Eukalyptuswald, den Nonno Arturo gepflanzt hatte, und ein Stückchen Strand mit den bunten Pünktchen der bereits geschlossenen Sonnenschirme. Etwas weiter links sprangen die Fabrikhallen der Montedison brutal ins Auge. Die Überreste der Tempelanlage des Apollon Alaios waren unter verdorrtem Gras begraben, und daneben weideten ein Dutzend Pferde und Fohlen. Zu unserer Rechten, in Richtung Melissa und Strongoli, brummten faul die Masten der Windkraftanlagen, die sich wie Luftspiegelungen auf den mit gelben Stoppeln überzogenen Hügeln rund um Spillace erhoben.
    Einen Schritt von uns entfernt fiel der Hang des Piloru ab. Im Sommer war er der kahlste und ödeste Teil des Hügels, mit ein paar staubigen Mastix- und Ginsterbüschen, zwei oder drei Reihen Weinstöcken und hin und wieder einem im Wind gebeugten Baum. Rein zufällig entdeckte ich hinter einer kleinen, von Erika und Zistrosen bewachsenen Erhebung ein Viereck umgegrabener Erde. »Was ist das, gibt es etwa wieder eine Ausgrabungskampagne, und du hast mir nichts davon erzählt?«, platzte ich heraus. Es war kein Vorwurf in meiner Stimme, nur ungläubige Überraschung.
    »Was hätte ich dir erzählen sollen? Ich grabe hier nur so ein bisschen rum. Reiner Zeitvertreib, ich habe so viel Muße, seit ich hier lebe. Morgens arbeite ich ein paar Stunden mit der Hilfe meiner marokkanischen Freunde und noch ein wenig am Abend, wenn ich Lust habe und nicht zu müde bin.«
    »Hast du wenigstens irgendetwas Wertvolles gefunden?«
    »Bisher nicht. Aber ich gebe nicht auf.«
    Ich stieg mit ihm zu der neuen Grabungsstelle hinab und sah mich um. »Entschuldige, Pà, ich

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