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Der Hügel des Windes

Der Hügel des Windes

Titel: Der Hügel des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmine Abate
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kann die Gräber des antiken Krimisa gar nicht sehen, die Paolo Orsi freigelegt hat. Wo sind sie?«
    Er antwortete mit weiteren verwirrenden Fragen: »Wer hat diese zwei Männer ermordet, deren Skelette in dem Grab lagen? Und warum? Das ist es doch, was du eigentlich wissen willst, oder?« Es waren die Fragen, die er sich selbst stellte, die er laut ausgesprochen dem Wind übergab. »Ich muss dir gestehen«, fuhr er fort, »dass ich es viele Jahre später herausgefunden habe, als ich die Skelette schon fast vergessen hatte, da andere Ereignisse die alten Geschichten verdrängt hatten.«
    »Welche Ereignisse?«, fragte ich neugierig.
    »Die auf den Flugzeugabsturz folgten, als ich als junger Lehrer davon träumte, die Welt zu verändern, und deine Mutter noch nicht aus Turin heruntergekommen war, um mich in sie verliebt zu machen und mir auf die Nerven zu gehen.«

22
    Das unbekannte Dröhnen der Flugzeuge erklang über den Hügeln von San Mauro Marchesato wenige Monate nach dem italienischen Kriegseintritt am 10. Juni 1940. Es waren britische Geschwader, die den Hafen bombardierten, die Eisenbahnlinie und die Industrieanlagen von Crotone, die einzigen in Kalabrien. Weitergetragen vom Herbstwind hörte man die Detonationen der Streubomben bis auf die Piazza von Spillace.
    Arturo, im Kreise einiger Männer, zeigte auf die dunklen Rauchwolken, die am Horizont standen und das Meer schwärzten. »Dieser Faschistenkrieg wird Italien zerstören«, sagte er zwischen den nutzlosen Maschinengewehrsalven der Flugabwehr und gab zu: »Ich hätte nicht gedacht, dass er so schnell hierher zu uns kommen würde.«
    Niemand hätte das gedacht, stimmten die Genossen ihm zu, vielleicht nicht einmal Mussolini. Der letzte Bock, den er geschossen hatte in der Überzeugung, in einen bereits von den Deutschen gewonnenen Krieg einzutreten, um sich später die besetzten Länder und den Ruhm zu teilen.
    Die Bombardierungen nahmen im darauffolgenden Jahr zu, forderten Dutzende Tote und Verletzte in der Zivilbevölkerung von Crotone und vertrieben unzählige Familien aus der Stadt, die in den umliegenden Dörfern Unterschlupf suchten, auch in Spillace.
    Als Arturo erfuhr, dass die Gegend um Catanzaro bombardiertwurde, bat er den Sohn, ihn zur Pension zu begleiten: »Wir holen Sofia Antonia und bringen sie nach Hause, da ist sie sicherer.« Und er gestand: »Seit dieser neue Krieg ausgebrochen ist, finde ich keinen Schlaf mehr, ich habe das Gefühl, wieder in den Schützengräben des Lagorai zu stehen, mit der ständigen Angst im Kopf, dass die Kugeln und Bomben früher oder später auch euch unschuldige Kinder treffen könnten.«
    »Du musst dir um uns keine Sorgen machen, Pà, der Krieg wird niemals ein kleines, abgeschiedenes Dorf wie Spillace streifen«, versuchte Michelangelo ihn zu beruhigen. Er war zwanzig Jahre alt. Im Sommer des Vorjahres hatte er sein Lehrerdiplom abgelegt und wartete nun auf die Ausschreibung der freien Stellen. Bis dahin hatte er sich in Abstimmung mit der Familie an der Universität von Messina eingeschrieben, um auf diese Art den Militärdienst aufzuschieben und der mehr als wahrscheinlichen Einberufung in den Krieg für ein paar Jahre zu entgehen.
    Ninabella willigte nur zu gerne in die unerwarteten Ferien ein. Seit Michelangelo seine Ausbildung beendet hatte, langweilte sie sich in Catanzaro, und der Übergang in das weiterführende Lehrerinstitut hatte sich in so vielen Fächern als derart desaströs erwiesen, dass sie überlegt hatte, aufzugeben, und nur ihr übermäßiger Stolz und die aufmunternden Briefe ihres Bruders sie bewegt hatten, zu bleiben.
    Sonntags ging sie mit den gleichaltrigen Mädchen aus der Nachbarschaft in die Kirche, um zu allen Heiligen für ein Ende des Krieges zu beten. Sie war noch nicht ganz achtzehn, das Alter, in dem sie ihre glanzvollste Schönheit erreichen sollte, und doch war die Wirkung, die sie beim Überqueren des Dorfplatzes in Spillace erzielte, womöglich nochexplosiver als in Catanzaro und wurde durch die Kommentare hinter ihrem Rücken noch angeheizt: »Was für eine Schönheit! Was für ein Weibsbild! Umwerfend! Diese Madonnenaugen! Diese geschmeidigen Hüften! Und diese feengleichen Haare!«
    Die jungen Männer sahen in ihr die klare Schönheit der Mutter, gepaart mit einer Aura, die sie auf Abstand hielt wie ein Feuerring. Es war der Respekt oder gar die ehrerbietige Furcht vor dem einzigen Mädchen aus Spillace, das in jenen Jahren die Oberschule besuchte und daher

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