Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
ganze Verschwörung gleich dazu.
Er wartete im Uferschilf bis zum frühen Abend, ritt dann auf einem Treidelpfad zurück und schwamm wieder über den Fluss. Im letzten Tageslicht, kurz bevor die Stadttore geschlossen wurden, erreichte er Orléans und ritt zu dem Kloster, wo er schon einmal Quartier genommen hatte. Von einem der Mönche erbat er sich Tinte und einen Bogen Pergament und schrieb einen Brief an Guntram, um ihn über das Verschwörernest zu unterrichten. Er war sich einigermaßen sicher, dass sich Leudemund und seine Leute in einer der Villen südlich der Stadt eingerichtet hatten, ihre leichte Kleidung und das Fehlen von Gepäck hatten ihm das verraten. Ihr Schlupfwinkel war auf alle Fälle so gelegen, dass sie innerhalb kurzer Zeit die Stadt erreichen konnten. Vielleicht befand er sich sogar in Sichtweite der Stadt. Alle diese Überlegungen vertraute Wittiges dem Pergament an und nannte auch den einzigen Namen, den er kannte, und gab eine Beschreibung Leudemunds: der Mann mit der hässlichen Narbe an der Stirn. Jeden Satz überlegte er sich dreimal, bevor er ihn niederschrieb. Es hing ja so viel davon ab. Erst gegen Morgen fiel er für wenige Stunden in einen unruhigen Schlaf.
Das Kloster war königstreu, und darauf baute er. Nach dem kargen Morgenmahl bat er den Abt um eine Unterredung, zeigte ihm den zusammengefalteten und gesiegelten Brief, sagte ihm offen, an wen er gerichtet war, und fragte ihn um Rat. Der Brief musste so rasch wie möglich zugestellt werden. Nur, wem konnte er ihn anvertrauen?
Wittiges spielte durchaus mit dem Gedanken, selbst nach Chalon zu reisen und Guntram dazu zu bringen, ihm eine Streitmacht zur Verfügung zu stellen, mit der er das Verschwörernest ausheben konnte. Leudemund würde er persönlich zur Rechenschaft ziehen. Aber noch zauderte er. Guntram würde ihn vielleicht festhalten, ihn eventuell gar nicht anhören. Und da gab es immer noch die Sache mit Nikodemus.
„Du könntest deinen Brief uns zur Beförderung anvertrauen, wenn es da nicht eine Schwierigkeit gäbe“, begann der Abt nach einem Augenblick nachdenklichen Schweigens. Eine Botschaft an den König persönlich bekam er sicher nicht alle Tage zu Gesicht.
Ein Mönch als Bote! Nun wusste Wittiges, warum er den Abt um Rat gefragt hatte. Wer konnte unauffälliger und harmloser sein als ein reisender Mönch? „Was für eine Schwierigkeit? Ich komme selbstverständlich für die Reisekosten auf.“
Kurz leuchteten die Augen des Abts auf, dann wurde er sachlich. „Darum geht es nicht. Wir dürfen unser Kloster nicht verlassen, aber ich bin sicher, einen Dispens des Bischofs zu erwirken, wenn ich ihm erkläre, dass wir eine Botschaft an das Königskloster Sankt Marcel in Chalon haben. Wir unterhalten Verbindungen dorthin.“ Den Brief hatte er längst in den Weiten seiner dünnen, schäbigen Kutte verschwinden lassen.
„Einen Dispens des Bischofs? Wieso braucht ihr den?“
Der Abt lächelte. „Wir Mönche sind zur stabilitas loci verpflichtet, zur Ortsansässigkeit, das ist auf den Konzilien so beschlossen worden. Das gilt sogar für mich. Aber mach dir keine Sorgen darum. Der Bischof von Orléans ist ein Vetter von mir.“
„Ich mach mir keine Sorgen“, bekannte Wittiges entgegen seiner wahren Meinung. Wie kam er nun wieder in den Besitz des Briefs? „Aber ich wüsste gern, was es mit dieser Beschränkung auf sich hat. Warum besteht sie?“
„Kirchenpolitik. Die Bischöfe wollen die Oberherrschaft über die Klöster innehaben, genau wie über ihre Priester und die Gemeinden ihrer Diözese. Wir dürfen weder das Kloster verlassen noch ohne Einverständnis des für uns zuständigen Bischofs Land oder anderen Besitz veräußern. Doch das sind“ - er betrachtete ihn prüfend - „nicht deine Sorgen. Dein Brief wird den König erreichen, sei dessen sicher. Aber wenn du mir nicht glaubst - nimm ihn wieder an dich.“ Allerdings machte der Abt keine Anstalten, das Schreiben hervorzukramen. Wittiges hatte sich inzwischen dazu durchgerungen, ihm zu vertrauen.
„Dann sei es so. Das Wohl und die Zukunft Orléans könnten von der Botschaft abhängen.“
„Das habe ich schon verstanden“, erklärte der Abt mit Würde. „Wohin wirst du nun reisen?“
Das wüsste ich auch gern, dachte Wittiges.
„Es scheint mir, dass du tief im Innern eine große Traurigkeit mit dir herumträgst“, tastete sich der Abt vor.
„Wie kommst du darauf?“, fragte Wittiges erstaunt.
„Deine Haltung verrät dich, die
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