Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
Awaren mit allen bösen Erinnerungen hinter sich gelassen zu haben, und nun holten sie ihn ein, schienen gewillt, sich unerbittlich an seine Fersen zu heften. Er hatte geahnt, dass seine Sünden ihn nicht losließen.
Samurs Miene, soweit sie sich überhaupt deuten ließ, verzog sich zu einem verächtlichen Lächeln, das sofort wieder verschwand. Wittiges hatte bereits in der Wächtersiedlung bemerkt, dass die Awaren kein einheitliches Volk bildeten, dafür sahen manche zu unterschiedlich aus. Dieser Mann hatte eine wie vergilbtes Elfenbein getönte Haut und schwarze Augen, die schräg wie die einer Katze standen. Unheimliche Augen, bei deren Anblick Wittiges unwillkürlich vor Abwehr schauderte.
„Und um dir dies zu zeigen.“ Samur nestelte an der Innenseite seines Umhang. Wittiges dachte an ein Wurfmesser und machte sich auf einen heimtückischen Angriff gefasst. Und so schien auch der Franke zu denken, der Samur als Erster erkannt hatte. Er zog das Schwert blank. Sofort schob sich ein zweiter Franke heran, die Stimmung wurde bedrohlich. Es bedurfte nur einer Handbewegung von Wittiges, und ein Gemetzel würde beginnen.
Einer der Händler schrie auf, denn ein Franke hielt ihm ein Messer an die Kehle.
Samur stockte mitten in der Bewegung, sein Blick flog von einem zum anderen. Wie er den Kerl hasste -, Wittiges glühte vor Hass. Das fremdartige Gesicht mit den unergründlichen Augen rief ein Gefühl abgrundtiefer Feindschaft in ihm hervor.
„Was wolltest du mir zeigen?“, raunzte er und hielt sich gerade noch in Zaum. Warum überhaupt noch reden?
Während er sich in den Steigbügeln erhob, blaffte Samur die übrigen Awarenkrieger im Kauderwelsch seiner Sprache an, das Wittiges nicht verstand.
„Er sagt, sie sollen die Schwerter wegstecken“, meldete sich Venantius zaghaft. „Wittiges, ich glaube nicht an feindliche Absichten.“
Ich schon, ich will daran glauben, dachte Wittiges störrisch.
„Bitte, komm zur Vernunft!“, fügte Venantius flehend hinzu.
Unerträglich langsam zog Samur die Hand hervor und hielt Wittiges auf dem flachen Handteller etwas Goldglänzendes entgegen.
„Das Siegel des Kaghans. Er schickt mich als Gesandten an den Hof von Metz“, murmelte er.
Wittiges ächzte innerlich, bat Venantius aber leidlich gefasst, das Siegel zu prüfen. Als dieser der Aufforderung nachgekommen war und es als unzweifelhaft echt bezeichnet hatte, war Wittiges noch längst nicht beruhigt. An ihm nagte die Enttäuschung, um seinen kleinen Awarenkrieg gebracht worden zu sein, und außerdem sah er keinen Anlass, Samur zu vertrauen. Selbst nach eingehender Erkundigung blieben viele Fragen offen. Der Aware lehnte es ab, über die Gründe seiner Flucht aus Boiotro zu sprechen oder sich für seinen Eidbruch zu entschuldigen. Denn er hatte schließlich einen Eid geleistet, sich, solange es erforderlich war, als Geisel zur Verfügung zu halten. Hochmütig ging er darüber hinweg. Es gab auch keine Erklärung ab, warum er als Gesandter allein unterwegs war – er hatte doch nicht ahnen können, auf die awarischen Händler zu stoßen.
Diese waren es, die letztlich für Entspannung sorgten, indem sie Geschenke verteilten: ein paar Silbermünzen und Kleinkram wie Bronzefibeln. Das stimmte zumindest Wittiges’ fränkische Begleiter milde, wenn vielleicht auch nur für kurze Zeit. Es bestand durchaus die Möglichkeit, dass einige von ihnen überlegten, sich nachts den Rest mit Gewalt anzueignen. Die Awaren führten hauptsächlich Eisenwaren mit sich, außerdem Schmucksteine und etliche Ballen Tuch, das aus Wolle gefertigt war, aber kein Wasser durchließ. Es fühlte sich sehr fest und steif an. Weil Aletha sicher Interesse an dem Stoff haben würde, nahm Wittiges nach einigem Zaudern ein Stück davon als Geschenk an.
Samur beobachtete das Treiben der Händler mit verschlossener Miene, mischte sich aber nicht ein und hielt sich weiterhin abseits. Dennoch stand außer Frage, dass er auf der Reise nach Metz bei ihnen bleiben würde. Wittiges sann darüber nach, was Samur wohl der fränkischen Regierung über die Abmachungen mit dem Kaghan berichten würde, falls er Gelegenheit dazu erhielte. Das Auftauchen des Awaren blieb auf jeden Fall rätselhaft, und Wittiges’ Argwohn ließ keineswegs nach.
In der ersten Nacht stellte er seine verlässlichsten Männer als Wachen auf und schärfte ihnen ein, dass er jeden Übergriff auf die Awaren mit drakonischen Strafen ahnden werde. Sie kampierten in einem verlassenen
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