Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
die Hälfte des Weins, aber sein freundliches, wenn auch völlig zahnloses Lächeln tröstete Wittiges ein wenig. Conda hielt allen, die er einmal ins Herz geschlossen hatte, unverbrüchlich die Treue. Als er den Wein gereicht hatte, umschloss er kurz Wittiges’ Hände, die den Becher hielten.
Als hätte der tattrige alte Mann mit seiner Willkommensgeste an alte Freundschaften erinnert, schlenderte Lupus heran, schlug Wittiges zur Begrüßung auf die Schulter und setzte sich neben ihn, die langen Beine von sich gestreckt. Die beiden kannten sich gut, denn sie waren in Reims fast Nachbarn, und es gab keine Konflikte zwischen ihnen. Im Gegenteil: Sie mochten sich, wenn auch ohne große Herzlichkeit. Lupus war vor einem Jahr zum dux der Champagne aufgestiegen, und sein Bruder Magnulfus diente seit Jahren als zuverlässiger Heerführer unter ihm. Magnulfus winkte Wittiges nur lässig zu.
„Sag einfach, dass alles nicht wahr ist“, riet Lupus.
„Was?“
„Das fragst du noch?“, mischte sich Wandalenus wieder ein. „Dass dieser verlauste Pferdehirte Baian Tribut von uns fordert – in bisher nie dagewesener Höhe. Und dass er von uns verlangt, ihm gegen den Kaiser von Byzanz den Rücken zu stärken. Wir sollen ihm Truppen stellen, sobald er mit dem Finger schnippt!“ Es war eine einzige Anklage.
„Stimmt das alles?“ Lupus rückte von Wittiges ab, alle starrten ihn schweigend und alles andere als wohlwollend an. Wittiges fühlte sich wie gelähmt. Der Wein schmeckte sauer und verursachte ihm ein Brennen hinten in der Kehle. Er musste schwer schlucken, damit er ihm nicht sauer aufstieß. Er erhob sich.
„Wenn ihr schon alles wisst, wozu dann noch darüber reden? Ja, es ist alles wahr, ich hab leider für eine große Enttäuschung gesorgt. Ihr habt den falschen Mann geschickt. Ich hab’s dir gleich gesagt, Gogo. Also, was soll’s? Kann ich mich nun zurückziehen? Es ist mir ein Bedürfnis, diese stinkenden Kleider abzulegen.“
„Ja, lassen wir ihn gehen“, sagte Wandalenus in einem so verächtlichen Ton, als entließe er einen nichtsnutzigen Diener.
Wittiges fragte sich, wieso er überhaupt ständig redete, es waren doch genügend ranghöhere Männer anwesend. Während seiner Reise zu den Awaren musste er beträchtlich an Macht und Ansehen gewonnen haben. Nur – wodurch? Und wo zum Teufel steckte die Königin?
„Nein“, widersprach Gogo nach einer quälend langen Pause. „So nicht. Bitte, berichte uns der Reihe nach, was bei den Awaren vorgefallen ist und warum du kein besseres Ergebnis erzielen konntest. Ich bin sicher, du hast alles Menschenmögliche versucht.“
Es war demütigend, sich vor so vielen Zeugen ausfragen zu lassen. Wittiges hatte gehofft, zuerst Gogo allein Rede und Antwort stehen zu müssen. Aber er beschönigte nichts, ließ nur die Episode mit der Awarin aus und stand am Ende, wie zu erwarten, als glückloser Einfaltspinsel da. Er spürte sowohl Bedauern von Seiten Gogos und Lupus’, die ihm beide eigentlich wohlgesinnt waren, als auch ihren langsam aufkeimenden Unwillen. Er konnte es ihnen nicht einmal verdenken. Als er nach der Königin fragte, erfuhr er nur, dass sie nicht am Hof weilte.
Da ging ihm auf, wie schwer es ihm gefallen wäre, ihr unter die Augen zu treten. Seine schlimmsten Befürchtungen hatten dieser Begegnung gegolten. Auch von ihr als Versager betrachtet zu werden, wäre die eigentliche Niederlage gewesen.
Der Rang als patricius wurde Wittiges umgehend aberkannt, wobei Gogo herzlich wenig überzeugend darauf hinwies, dass die Ernennung von vornherein nicht für die Dauer gedacht gewesen war. Es war eine Degradierung, da ließ sich nichts beschönigen. Eisern seine Erbitterung beherrschend, empfahl Wittiges kühl, die weiteren Verhandlungen mit dem Kaghan mit Samurs Hilfe fortzusetzen und bat, unverzüglich heimreisen zu dürfen. Ohne eine Antwort abzuwarten, stand er auf, reichte dem nächststehenden Diener den Weinbecher und schritt zur Tür. Dabei konnte er dem Schreiber, der anscheinend das Wesentliche des Gesprächs auf einem weiteren Blatt festgehalten hatte, über die Schulter schauen. Sein Versagen wurde auch noch für alle Ewigkeit festgehalten!
„Ach, was ich noch sagen wollte“, begann er bedachtsam. „Baian hat wenigstens viertausend Mann an der Donau stehen. Hat Venantius das erwähnt? Wenn ich mich recht erinnere, war er nicht dabei, als ich mit dem Kommandanten von Boiotro einen Blick auf dieses gewaltige Heer geworfen habe. Viertausend
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