Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
der ihm etwas zu essen durch die Tür gereicht hatte, hatte auf seine Fragen geantwortet. Was die Haft zu bedeuten hatte, ahnte er immerhin.
Chilperich hatte ihn zu sich in eines seiner luxuriösen Gemächer bringen lassen und die Wachen angewiesen, vor der Tür Posten zu beziehen. Für die Flucht bot sich allenfalls das Fenster an, sofern Merowech einen Sprung aus dem zweiten Stock für erwägenswert hielt.
„Was soll das? Warum schlägst du mich?“
„Du mieser kleiner Dreckshaufen! Wie konntest du sie heiraten? Sie war meine Gefangene. Sie befand sich in meiner Obhut. Hast du dich nie gefragt, was ich mit ihr vorhabe? Du hast mich, deinen eigenen Vater, hintergangen.“
Also doch! Die alte Eule Praetextatus hatte geplaudert. Seit er zur Synode angereist war, hatte sich Merowech gefragt, wie lange dieser das große Geheimnis für sich behalten würde. Wenn er selbst über die wenigen Tage in Rouen nachdachte, glaubte er zuweilen an einen seltsamen Traum. Es war ein Abenteuer gewesen, eine Verrücktheit, hatte aber dennoch wenig mit Leidenschaft zu tun gehabt. Obwohl ... Brunichild war eindeutig eine der schönsten und begehrenswertesten Frauen, die er je getroffen hatte.
„Warum regst du dich auf? Du hast ihre Schwester geheiratet, ich sie. Es bleibt alles in der Familie.“
„Es ist Blutschande!“, schrie Chilperich.
Merowech zuckte die Schultern. Der Vorwurf ließ ihn zwar nicht gänzlich unberührt, aber moralische Bedenken hatten in der Familie seit jeher wenig Gewicht gehabt. Sein Vater wollte sich aufregen, er streckte beide Hände aus, als beabsichtigte er, ihm an den Hals zu gehen.
„Ja, erwürg mich nur, genau wie Gailswintha!“, rief Merowech herausfordernd.
Abrupt blieb Chilperich stehen. „Das sagst du mir so ins Gesicht?“
„Wenn du mich erwürgst, glauben auch die letzten Zweifler, dass du sie auf dem Gewissen hast.“ Von den Zweiflern konnte es kaum mehr als eine Handvoll geben; sogar Guntram war von der Schuld seines Bruders überzeugt. Nur Chilperich selbst klammerte sich an die Vorstellung, dass ihn nicht jedermann für den Mörder der eigenen Frau hielt.
Chilperich wandte sich ab und kehrte ihm den Rücken zu. „Ich sag dir, was ich mit dir tun werde. Du bleibst in Haft.“
„Wie lange und wo?“
„Unterbrich mich nicht.“ Chilperich fuhr herum, nun erkannte Merowech an der unverhohlen schmerzvollen Miene, dass sein Vater unter dem Zerwürfnis mit ihm litt. Obwohl er ihn gut zu kennen glaubte, steckte Chilperich doch immer noch voller Überraschungen. „Du bleibst hier, hier in Paris. Ich laste es Brunichild und diesem ... Trottel Praetextatus an, dass es zu dieser Heirat gekommen ist. Er ist seit Jahren gegen mich.“
Vermutete sein Vater eine Verschwörung?, fragte sich Merowech. Nun ja, er und Brunchild hatten häufig mit Praetextatus diskutiert, über die verheerenden Kriege und dass eine Änderung der Politik dringend nötig sei, damit endlich Frieden herrsche und dass es gut wäre, in Rouen und Umgebung neue Verbündete zu gewinnen. Verschwörung hätte Merowech das nicht genannt, mehr ein gemeinsames Abwägen, was gut für das Land sei.
Er fiel auf die Knie. „Es tut mir leid“, nuschelte er. „Ich habe nicht nachgedacht, was es für dich bedeutet.“ Er stockte und wartete auf eine Bemerkung, als diese jedoch ausblieb, musste er notgedrungen fortfahren. „Sie war so traurig, weißt du, ich musste sie trösten, und da ...“. Er seufzte tief. „Schönen, trostbedürftigen Frauen konnte ich noch nie widerstehen.“
Unerwartet zog ihn Chilperich auf die Füße und drückte ihn an sich. „Ich weiß, ich kenne ihren Zauber nur zu gut.“ Er hatte Tränen in den Augen. „Ihre Schönheit war immer schon ihre stärkste Waffe. Von allen Hexen in der Familie ist sie eine der gefährlichsten. Vergiss das nie.“ Langsam gab er ihn frei und schritt unruhig im Raum hin und her. Schließlich riss er die Tür auf und rief die Wachen herein.
„Mein Sohn bleibt bis auf Weiteres in Haft. Zwar darf er sich im Palast frei bewegen, ihn aber ohne meine Erlaubnis nicht verlassen. Du“ - er zeigte auf den älteren Mann - „bist mir dafür verantwortlich, dass er Tag und Nacht unter Bewachung steht.“
Merowech mochte kaum glauben, dass er so glimpflich davonkommen sollte. Um seine Reue überzeugend zu demonstrieren, fiel er erneut auf die Knie und küsste den Saum von Chilperichs Gewand. „Ich danke dir, Vater“, raunte er mit ersterbender Stimme. „Ich danke dir
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