Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
aus ganzem Herzen für deine Güte.“
„Nicht doch“, entgegnete Chilperich verlegen. „Glaubst du etwa, ich liebe meine Söhne nicht und will sie vernichten?“
Merowech hätte um ein Haar laut aufgelacht. Seit er den Kinderschuhen entwachsen war, wurde er bei jeder Gelegenheit von seinem Vater abgekanzelt, damit er ja nie vergaß, wer die Macht inne hatte. Von Liebe keine Spur.
„Nein“, fuhr Chilperich theatralisch fort, „ich baue auf euch, ihr seid meine Zukunft. Steh auf, - jetzt steh schon auf!“ Er zerrte Merowech auf die Füße. „Vielleicht war es doch kein so übler Zug, dass du sie geheiratet hast. Besser du als Guntram. Und nun geh!“
Merowech machte, dass er fortkam, bevor die Stimmung des Vaters erneut umschlug. Fast sofort sann er über Flucht nach. Da er recht viel Bewegungsfreiheit behalten hatte, musste es doch eine Möglichkeit geben. Nur wann oder wo? Chilperich hatte, um ihn am Entkommen zu hindern, sogar sein Gefolge aus Kriegern und Vasallen vom Hof verbannt, sodass er nicht mit deren Hilfe rechnen konnte. Allerdings war fraglich, wer von ihnen überhaupt noch zu ihm hielt, denn es gab ein ungeschriebenes Gesetz, das an allen Höfen galt: Ein Verlierer hatte keine Anhänger mehr.
Er steckte in einer wahrhaft üblen Klemme.
Als Chilperich bei einem gemeinsamen Abendessen auch noch laut darüber nachdachte, ihm eine Tonsur scheren zu lassen und ihn für immer in ein Kloster zu stecken - eine grauenvolle Vorstellung -, befiel ihn Verzweiflung.
Praetextatus konnte ihm auch nicht helfen. Der alte Mann saß im Kerker.
Bischof Gregor von Tours hatte zwar dagegen protestiert und im Namen einer ganzen Gruppe Verbündeter aus der Synodalversammlung gefordert, den Amtsbruder in den Gewahrsam der Kirche zu überstellen, aber Chilperich ging auf die Forderung nicht ein.
Tag für Tag durchlebte Merowech den gleichen Albtraum. Kaum einer sprach mit ihm, denn für Chilperichs anstrustiones war er als Verräter gebrandmarkt. Der Vater rieb ihm bei jeder Gelegenheit seine Verfehlungen unter die Nase, und wenn er besonders aufgeräumter Stimmung war, ging er mit ihm peinlich genau eine Liste der Klöster durch, die für die lebenslange Buße infrage kamen.
Nach einer Woche war Merowech beinahe so weit, sich in das unvermeidliche Schicksal zu fügen. Wenn er doch bloß Brunichild eine Nachricht schicken könnte! Aber würde sie eine Streitmacht zu seiner Befreiung aufbieten? Er wollte daran glauben, aber sein Verstand sprach dagegen. Sie würde seinetwegen keinen neuen Krieg anzetteln, wenn sie annehmen musste, dass er kaum einen Rückhalt in Paris hatte. Wie er es auch drehte und wendete, er stand auf verlorenem Posten.
Es wunderte ihn nicht wenig, als eines Abends Bischof Bertram von Le Mans mit zwangloser Freundlichkeit auf ihn zutrat und ihn bat, ihm auf einen Umgang hinaus zu folgen, von dem aus sie auf die Seine sehen konnten. Der Fluss glitzerte trübe im Abendlicht. Ein Kahn war unterwegs, der große Tonkrüge geladen hatte. Sehnsüchtig sah ihm Merowech nach. Am liebsten hätte er sich in den Fluss gestürzt, aber er konnte nicht einmal schwimmen.
„Besser, du erfährt es von mir“, begann Bertram und legte ihm die Hand auf den Arm. Sofort wurde der Wächter aufmerksam, der ihnen gefolgt war, aber höflich Abstand hielt. Daher trat Merowech ein wenig beiseite, und Bertram nahm seine Hand weg. „Entschuldige, ich vergaß.“
„Was willst du mir sagen?“
„Dein Pate ist gestorben.“
Zunächst konnte Merowech mit der Nachricht nichts anfangen. Dann verstand er. Unbeherrscht stöhnte er auf. „Das wundert mich nicht. Wie hat es der alte Wolf machen lassen? Gift, Strick oder Dolch?“
Bertram lächelte unverbindlich. „Ich würde sagen, die Haft im Kerker war zu viel für einen alten Mann wie Praetextatus, der sein weiches Bett gewöhnt ist - und die Frau, die es ihm warm hält.“
„Nein, keine Frau, nicht mal ein Knabe“, widersprach Merowech. „Er war tatsächlich keusch. Dir muss das seltsam vorkommen.“ Er hatte einmal gesehen, wie Fredegund Bertram begrüßt hatte, als sie sich unbemerkt glaubten, und das hatte ihm einiges über das Verhältnis der beiden zueinander verraten.
Amüsiert zog Bertram die Brauen hoch. „Jeder nach seinem Geschmack. Dir bleibt bald auch nur noch die Keuschheit, hab ich vernommen. Eigentlich schade bei einer so schönen Braut. Sie muss sich noch in Chalon aufhalten und für ihren Sohn um Guntrams Erbe buhlen. Schade auch, dass sich
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