Der Hüter des Schwertes
sie für jeden unverheirateten Adligen der Weg zur Krone. Herzogin Ivene hatte sogar vorgeschlagen, sie mit Gello zu verheiraten, um das Blut rein zu halten.
Gott sei Dank war ihr Vater damit nicht einverstanden gewesen – aber er und die Herzogin hatten eine Übereinkunft getroffen. Gello würde das Heer zugesprochen bekommen und als starke rechte Hand der Krone fungieren. Es hatte damals sogar ein gewisse Rechtfertigung für diese Machtteilung gegeben. Man hatte damit gerechnet, Berellia würde die Rallorischen Kriege gewinnen. Am Königshof hatten Gerüchte kursiert – die aller Wahrscheinlichkeit nach von Ivene in die Welt gesetzt worden waren –, dass die Berellianer planten, in Norstalos einzumarschieren, wenn nur eine Königin das Land regierte. Merren würde zwar gekrönt werden, aber nach einem Krieger suchen und im Übrigen abwarten müssen, bis ihr oder Gellos Sohn das Schwert zu ziehen vermochte.
Merren hatte diese Vereinbarung nicht gefallen – sie wusste immer, dass Gello sich nicht damit abfinden würde, nur an zweiter Stelle zu stehen. Aber wenigstens hatte er seinen Ehrgeiz, nachdem das Drachenschwert ihn abgelehnt hatte, auf andere Dinge gerichtet. Blut und Eroberung. Er hatte Tage vor riesigen Karten des Kontinents verbracht. Er entwarf Schlachtpläne und überlegte, wie er allen anderen Ländern blutige Niederlagen bereiten konnte. Als sie versucht hatte, ihm klarzumachen, dass sie niemals den Befehl geben würde, in ein fremdes Land einzumarschieren, und er ihr gehorchen müsse, war Gello schließlich auf sie losgegangen und nur von seinem Leibwächter zurückgehalten worden.
Ihr Wettstreit hatte begonnen.
Sie hatte schon früh einen Vorteil gehabt – sie war die Thronerbin, und er war in Ungnade gefallen, nachdem das Drachenschwert ihn für unwürdig befunden hatte.
Aber während Merren nach den Regeln hatte spielen müssen, waren Ivene und Gello bereit gewesen, alles zu versuchen, um die Macht zu ergreifen, auf die sie ein Anrecht zu haben glaubten. Dem oftmals kranken König Croft war anscheinend gänzlich entgangen, was Gello und Ivene taten. Der junge Herzog hatte das Heer stark umstrukturiert. Ältere Offiziere waren durch jüngere ersetzt worden, deren Loyalität allein ihm galt. Währenddessen hatte Herzogin Ivene im Kronrat die Verhältnisse zu ihren Gunsten beeinflusst. Sie manipulierte die Ratsmitglieder und brachte möglichst viele auf die Seite ihres Sohnes. König Croft hatte den häufigen Warnungen seiner Tochter keine Beachtung geschenkt. Als ihr Vater dann gestorben war – Merren hatte sich gefragt, ob Ivene auch dabei ihre Finger im Spiel gehabt hatte, zumal ihr Vater noch vergleichsweise jung gewesen war –, hatte sie keine Möglichkeit mehr gehabt, Gello als Führer des Heers zu ersetzen. Die Situation hatte sich zusehends verschlimmert, bis schließlich der Punkt erreicht war, dass genug Adlige im Kronrat bereit waren, Gello die Macht im Staat zu übertragen. Das Heer war bereits so weit umgestaltet gewesen, dass es den Befehlen des Herzogs blind Folge leistete.
Sie hatte in den letzten drei Jahren viel Zeit gehabt, darüber nachzudenken, was sie anders hätte machen können.
Er hatte sie hintergangen und sie im Kronrat ausmanövriert. Genau genommen hatte ihre Tante das getan. Ivene kannte die meisten Adligen gut und wusste über ihre sehnlichsten Wünsche und dunkelsten Geheimnisse Bescheid. Sie wusste auch, wie sie die Adligen gegen die Königin aufbringen konnte. Gello ließ einfach einen seiner Verbündeten den lächerlichen Vorschlag machen, die Ländereien eines Adligen auf Kosten eines anderen zu erweitern. Merren musste dann eingreifen und diesen Unfug verhindern, aber auf diese Weise verärgerte sie die Familie, der die Änderung zugutegekommen wäre. Alle neuen Gesetzesvorschläge, die sie einbrachte, wurden entweder derart mit Ergänzungen oder Nachträgen versehen, dass sie entweder gar nicht erst verabschiedet wurden oder ihren eigentlichen Sinn nicht mehr erfüllten und die Dinge sogar schlechter machen konnten. Auf diese Weise hatte er die Adligen allmählich so beeinflusst, dass sie Königin Merren nicht mehr unterstützten.
Seit Kurzem wusste sie, dass ihr die Zeit davonlief. Der Adel schnitt sie, alte Freunde erschienen nicht mehr zu den Sitzungen des Kronrats, und Gellos Kontrolle über das Heer war inzwischen umfassend. Selbst die treuesten Regimenter hatten sich ihm angeschlossen. Sie hatte immer noch gehofft, dass sich ein Streiter finden
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